Am Limit: Erste Hilfe bei Überlastung
Dauerstress, Frustrationen, schlechtes Betriebsklima: Spitalspersonal – aber auch andere Berufsgruppen– sind zunehmend großem Druck ausgesetzt. "Supervision" – eine professionelle Beratung – kann in vielen Fällen zur Entlastung beitragen, wenn sie auch in Anspruch genommen wird. "Hier ist zum Teil noch Überzeugungsarbeit notwendig", sagt die leitende Supervisorin Verena Krassnitzer vom Österreichischen Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG). Seit mehr als zehn Jahren bietet der Arbeitskreis als Pionierprojekt Supervision im Wiener Krankenanstaltenverbund (KAV) an. Krassnitzers Erfahrungen sind aber für jeden von Bedeutung, der unter seiner Arbeitssituation leidet.
KURIER: Viele Spitalsmitarbeiter, aber auch andere Berufsgruppen fühlen sich am Limit: Was kann Supervision ändern?
Verena Krassnitzer:Im Normalfall hat jeder Mitarbeiter drei Möglichkeiten: er jammert täglich und wird von der negativen Energie – "alles ist furchtbar, alles wird schlimmer" – immer mehr hinuntergezogen; oder er kündigt; oder er sucht für sich selbst nach Wegen, mit der Situation umgehen zu können. Dabei kann Supervision eine große Hilfe sein. Es geht darum, einen psychohygienisch guten Umgang mit einer belastenden Situation zu finden. Schließlich ist es weder für das Betriebsklima noch für Ihre Partnerschaft gut, wenn Sie jeden Tag über die Vorgesetzten oder die Kollegen schimpfen.
Wie kann Supervision helfen, solche neuen Wege zu finden?
Wichtig ist, den Blickwinkel zu wechseln und auch aus der Vogelperspektive auf ein Problem zu sehen. Dieser Blick von außen wird durch den Supervisor ermöglicht. Er ist nicht betriebsblind und stellt auch provokante Fragen, die wahrscheinlich sonst niemand so stellen würde und die zum Nachdenken anregen sollen. Zum Beispiel: "Was müssen wir tun, damit es noch schlechter wird?" Oder: "Wenn das Ganze ein Theaterstück wäre: Wer spielt hier welche Rolle?" Wichtig ist auch, sich in die Situation anderer hineinzuversetzen: Etwa zu sehen, dass auch die Führungskraft, die oft nur als der oder die Böse gesehen wird, häufig nicht frei entscheiden kann.
Wann wird diese Beratung in Anspruch genommen?
Wir führen eine zeitlich begrenzte Supervision bei Krisen und Konflikten durch. Auslöser sind unter anderem belastende Arbeitsbedingungen, Streitigkeiten im Team, Spannungen durch Veränderungen in einer Organisationseinheit oder Kriseninterventionen, etwa nach der Selbsttötung eines Patienten. In fünf Sitzungen zu je 100 Minuten – im Team oder auch einzeln – versuchen wir, Strategien für die Selbstfürsorge zu erarbeiten: Wie kann ich Belastungen, mit denen ich tagtäglich konfrontiert bin, besprechen und verarbeiten? Wie kann ich meine Aufmerksamkeit auf Positives lenken und damit verhindern, dass die Qualität meiner Arbeit leidet? Es geht darum, dass man als Einzelperson, aber auch als Team seine Handlungsspielräume erweitert. Eine solche Supervision kann auch anonym durchgeführt werden, ohne dass es z.B. die Stationsschwester oder ein anderer Vorgesetzter erfährt.
Wie stark wird dieses Angebot angenommen?
Wir führen in den KAV-Spitälern jährlich 180 Supervisionen durch, die Kosten werden vom KAV übernommen. In den Rückmelde-Bögen sagen 90 Prozent der Teilnehmer, dass die Supervision hilfreich war. Natürlich kann sie nicht alle Probleme – Stichwort Personalmangel – lösen. Aber sie kann Veränderungsprozesse anstoßen, die dann auch zu einer Änderung der Rahmenbedingungen führen. Ohne einen neutralen Supervisor hingegen bewegt man sich oft nur im Kreis.
Eine Form der mittel- und längerfristigen Einzel-, Team- und Organisationsberatung. Arbeitsplatzbezogene Probleme werden mit einem speziell ausgebildeten Supervisor reflektiert. Sie ist ein wichtiges Instrument zur Qualitätssicherung.
ÖAGG Der Österreichische Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik (ÖAGG) ist mit 1600 Mitgliedern die größte anerkannte psycho-therapeutische Ausbildungsorganisation in Österreich.
Internet: www.oeagg.at
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