Streit um Fenstertage: "Es hätte elegantere Lösungen gegeben"

Streit um Fenstertage: "Es hätte elegantere Lösungen gegeben"
Viele Lehrer arbeiten freiwillig mehr, als das Dienstrecht erfordert. Schulleiterinnen Pfingstner und Corazza stoßen sich aber an chaotischen Vorgaben.

Mit seiner Forderung, die Lehrer sollen an den beiden schulautonomen Tagen 22. Mai und 12. Juni unterrichten, hat Bildungsminister Heinz Faßmann für viel Aufsehen gesorgt. So hatte Lehrergewerkschafter Paul Kimberger bald darauf verwiesen, dass es arbeitsrechtlich gar nicht erlaubt sei, Lehrer an diesen Tagen zu Arbeit zu verpflichten. Eine Reaktion, die manchem Lehrer missfiel, weil sie dem Image des Berufs schade.

Österreichische Lösung

Was folgte, war ein typisch österreichischer Kompromiss. Am 1. Mai traten Bildungsminister Heinz Faßmann und drei Lehrervertreter vor die Kameras und verkündeten eine Einigung: Pädagogen sollten auf freiwilliger Basis unterrichten. Gleichzeitg ging in den Mailboxen der Schulleiter und Lehrkräfte ein Schreiben ein: "Sollte das Schulforum oder der Schulgemeinschaftsausschuss beschlossen haben, an diesen zwei Fenstertagen schulautonome Tage abzuhalten, so sollte dennoch regulär Unterricht gehalten werden. Die Kollegen und Kolleginnen werden gebeten, den Unterricht auf freiwilliger Basis abzuhalten."

Die Zeit war denkbar knapp. Der 1. Mai war ein Freitag und ein Feiertag. Bereits am 4. Mai sollten die Schulleiter die Entscheidung der Kollegen, ob sie an diesem Tag arbeiten wollen, erheben und bis Dienstag, den 5. Mai 2020, 12 Uhr, den Bildungsdirektionen bekannt geben.

Im Praxistest

Doch was bedeutet das jetzt für die Schulen? Direktorin Doris Pfingstner und Leiterstellvertreterin Verena Corazza berichten, wie bei ihren Kollegen die Beschlüsse ankamen, vor welche Schwierigkeiten sie die Schulen stellt und was sie von der neuen Reglung halten.

Streit um Fenstertage: "Es hätte elegantere Lösungen gegeben"

Doris Pfingstner

 

Doris Pfingstner ist Direktorin der NMS Eibengasse in Wien, Mitglied des KURIER-Bildungsbeirats und versteht sich als parteiunabhängige Pädagogin. Hier ihre wichtigsten Kritikpunkte:

  • Das Schreiben des Ministerium wurde eine Woche nach der Verkündung des Öffnungsplans veröffentlicht. Jede dienstleistungsorientierte Schule hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Einteilung des Schichtbetriebes den Eltern bekannt gegeben, um den Familien wichtige Planungsgrundlagen zu liefern. Nicht nur das: Weil an vielen Schulen an diesen Tagen laut Beschluss der schulpartnerschaftlichen Gremien schulfrei ist, kann man an diesem Tag keinen Unterricht machen - für Beschlussänderungen reicht die Frist nicht. Deshalb wird es in der Eibengasse an diesen Schulen Betreuung, aber keinen Unterricht geben.
  • Ärgerlich: In der Öffentlichkeit bleibt wieder einmal in Erinnerung, dass die Lehrer ein arbeitsscheues Volk sind. Die späte Kehrtwende der Gewerkschaft nehmen wohl nur mehr Insider zur Kenntnis.
  • Engagierte Pädagogen fühlen sich wieder einmal unverstanden, gekränkt und nun sogar von ihrer Gewerkschaft veräppelt.
  • Dass die Einigung zwischen Lehrergewerkschaften und Ministerium gerade am 1. Mai verkündet wurde, sei zumindest fragwürdig. Die Sozialdemokratie sieht ihre politischen Wurzeln  verletzt und der nächste Schlagabtausch ist vorprogrammiert.

Sehr viele arbeiten freiwillig

Nicht nur Direktorin Pfingstner fragt sich: "Hätte es nicht eine elegantere Lösung geben können? Als in den Osterferien Lehrkräfte gefragt wurden, ob sie auf freiwilliger Basis die Schüler und Schülerinnen betreuen würden, haben gut die Hälfte meiner Lehrkräfte spontan zugesagt. Ich bin mir sicher, dass viele unserer engagierten Lehrkräfte auch an diesen Fenstertagen den Schulbetrieb aufrecht erhalten hätten."

Bisher habe die Verzahnung von Rahmenvorgaben durch das Ministerium und gelebter Schulautonomie sehr gut funktioniert und das Schulsystem habe in dieser Coronakrise seine Leistungsfähigkeit und Resilienz eindrucksvoll unter Beweis gestellt. "Was nun zurückbleibt, ist das beschädigte Bild des Lehrers in der Öffentlichkeit und das Bild einer unkoordinierten Bildungspolitik - ein schaler Nachgeschmack, der schmerzt."

Unklare Vorgaben

Das sieht auch Verena Corazza so. Sie ist Pädagogin und Leiterstellvertreterin an der Lernwerkstatt Brigittenau. Sie kritisiert darüber hinaus, "dass leider nicht einmal klar ist, ob diese Erhebung im Lehrerkollegium auf die individuelle Freiwilligkeit Einzelner abzielt oder es um eine kollektive Entscheidung am Standort geht".

Sie wendet sich nicht grundsätzlich gegen die Öffnung der Schulen an diesen Freitagen. Was ihr aber fehlt, sind klare Vorgaben aus dem Ministerium: "So wie der 1. Mai-Brief viele Detailfragen offen lässt, wird es also wohl darauf hinauslaufen, dass die Schulen sich ohne großes Organisations-Tamtam eine ausreichende Zahl von freiwillig Dienst machenden Kolleginnen und Kollegen suchen."

Zur Zeit gebe es eh so viel anderes zu organisieren und zu kommunizieren: Am Montag, dem 4. Mai, mussten die Eltern informiert werden, wann ihr Kind Unterricht hat und abgefragt werden, an welchen Tagen es Betreuung braucht. Dabei müssen die Eltern darauf hingewiesen werden, dass es noch nicht sicher ist, ob Schulen entgegen des Schulforums-Beschluss offen haben, damit ihre Kinder an diesen beiden Freitagen – sofern sie bei einer der verkleinerten Gruppe sind, die an diesem oder jenem Freitag die Schule besuchen soll – in die Schule kommen können. Diese Information folgt dann vermutlich wieder zwei Tage später.

Ihr Appell: Bitte lasst die Schulen sich nicht zu Tode organisieren!

Bitte gebt die Vorgaben rechtzeitig bekannt!
Bitte schickt nicht jeden Tag eine neue Information!
Bitte tragt politische Machtkämpfe nicht auf dem Rücken und durch Mehrbelastung der Schulstandorte aus!
Bitte nehmt Schulautonomie ernst, wo es um wichtige pädagogische Fragen geht und wo es um die notwendigen organisatorischen Gestaltungsräume bei Stundenplänen, Gruppeneinteilungen, Personaleinsatz am einzelnen Standort geht!

 

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