Stevia: Ein bittersüßer Nachgeschmack
Joghurts, Molkedrinks, Limonaden oder Fertiggerichte: Seit der EU-Zulassung im Dezember 2011 gibt es immer mehr Produkte, die mit der natürlichen und kalorienfreien Süßkraft der südamerikanischen Stevia-Pflanze locken. Ebenso interessieren sich Hobby-Köche für den Einsatz in ihrer Küche. Die viel gepriesene Natürlichkeit wird jedoch kritisiert.
"Derzeit besteht das Problem offenbar darin, wie der Begriff Natürlichkeit zu definieren ist", sagt Peter P. Hopfinger von der Betroffenen-Plattform "Diabetes Austria". Denn zugelassen wurde nicht die Pflanze Stevia Rebaudiana Bertoniselbst, sondern ihre für die Süße verantwortlichen Inhaltsstoffe Steviosid und Rebaudiosid. Die müssen aus der Pflanze extrahiert und dann als Substanz E 960 (Steviolgylcoside) Limonaden, Säften und Fertiggerichten zugesetzt werden.
Um die Stevia-Pflanzeninhaltsstoffe zu gewinnen, werden aufwendige Verfahren eingesetzt. Kann dabei überhaupt noch ein "natürliches" Produkt entstehen? Univ.-Prof. Senad Novalin, Lebensmitteltechnologe an der Wiener Uni für Bodenkultur (BOKU) meint ja: "Man unterscheidet grundsätzlich bio-chemische und chemisch-synthetische Herstellungsweisen." Die Gewinnung von Steviolglycosiden falle – wie die Erzeugung von Rübenzucker übrigens auch – unter Ersteres. Zum Vergleich: Das allseits beliebte Vitamin C in Form von Ascorbinsäure wird großteils chemisch-synthetisch hergestellt.
Süßstoff-Deklaration
Stevia-Produzent Franz Reisenberger ergänzt: "Die EU unterscheidet in ihrer Süßstoffverordnung nicht einmal zwischen natürlich und synthetisch hergestellten Süßstoffen." Er arbeitet derzeit mit der BOKU in einem Pilotprojekt an einem neuartigen Extraktionsverfahren in Bio-Qualität. Für den Internisten Prim. Rudolf Prager, Spital Hietzing, spielt rund um Stevia Werbung eine große Rolle. "Aus meiner Sicht ist Stevia gesundheitlich unbedenklich.Ob Natürlichkeit draufsteht oder etwas anderes, ist natürlich immer eine Frage des Marketings."
"Beeinflusst Stoffwechsel nicht"
Aus ärztlicher Sicht hat Stevia – aber auch die zugelassene Substanz E 960 – durchaus Vorteile. Prim. Rudolf Prager vom Spital Hietzing: "Es wird gar nicht verstoffwechselt, ist praktisch kalorienfrei und beeinflusst im Gegensatz zu Zucker weder Blutzucker noch Insulinspiegel." Das mache es vor allem für Diabetiker (aber nicht nur) zur interessanten Alternative. Ein Freibrief ist Stevia damit freilich nicht. Denn: Auch wenn Steviolglycoside keinen Einfluss auf den Blutzuckerspiegel haben: Die Trägerspeisen – also etwa Obst im Obstsalat oder Äpfel im Apfelstrudel enthalten auch Zucker. Gar nicht erst zu reden von Fett, das als Geschmacksträger und für die Konsistenz von Backwaren meist nötig ist.
Wermutstropfen: Der lakritzeähnliche, herb-bittere Beigeschmack von Stevia mundet nicht jedem.
Info: 300-mal süßer als Zucker
Herkunft Die Stevia-Pflanze stammt aus Südamerika und wird dort seit Jahrhunderten zum Süßen genutzt. 90 Prozent der weltweiten Plantagen findet man heute in China und Japan. In Europa gibt es keine einzige. Die Süßkraft ist 300-mal stärker als die von Zucker.
Süßstoffe Steviolglycoside sind in der EU als Süßstoffe (also Zucker-Ersatzstoffe mit höherer Süßkraft) zugelassen. Am bekanntesten sind Saccharin (E 954), Cyclamat (E 952) und Aspartam (E 951).
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