Spinnenseide soll beschädigte Nerven reparieren
Es passiert bei Unfällen oder auch bei der Entfernung von großen Tumoren: Nerven werden verletzt und durchtrennt. Die zurückbleibende defekte Strecke ist oft so groß, dass einerseits eine Naht nicht möglich ist – und andererseits der Abstand zwischen den durchtrennten Nervenfasern unüberwindbar ist.
An einer Lösung dieses Problems arbeitet Christine Radtke – mit Spinnenseide. Sie ist plastische Chirurgin und seit Oktober 2016 Leiterin der Klinischen Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der MedUni Wien / AKH Wien. " Wir entwickeln Methoden, um Spinnenfäden für die Neubildung von defektem Nervengewebe zu nutzen. Diese Grundlagenforschung soll Menschen mit schweren Nervenschäden helfen."
Konkret geht es um den Faden von goldenen Radnetzspinnen aus Tansania. Dieser ist "reißfester als Nylon und dehnbarer als Stahl", gleichzeitig aber auch antibakteriell, wasserfest und hitzeunempfindlich. "Fischer aus Tansania machen daraus Netze, in den USA werden damit schussfeste Westen gefertigt. Auf diesem Faden haften aber auch Zellen fantastisch. Das ist für uns entscheidend."
Wie ein Rosengitter
Nerven, die etwa in einem Arm oder Bein durchtrennt wurden, können wieder zusammenwachsen. "Die Nervenzellen benötigen aber eine Struktur, die ihnen eine Richtung vorgibt, wie eine Leitschiene oder ein Gerüst. Das ist vergleichbar mit einem Rosengitter." Zwar gibt es künstliche Röhrchen, die auswachsenden Nervenzellen ebenfalls zur Orientierung dienen – aber diese helfen nur bei Defekten von einer Länge bis zu vier Zentimetern. Mehr schaffen die Zellen damit nicht. Doch geschädigte Abschnitte können deutlich länger sein.
Studie in Wien geplant
Nach 15 Jahren wissenschaftlicher Grundlagenforschung auf dem Gebiet plant Radkte in Wien die erste klinische Studie mit Patienten mit Nervenverletzungen in Armen oder Beinen. Zuvor muss die Seide aber noch als Medizinprodukt zertifiziert werden. Erst wenn sich bei Armen und Beinen ein Erfolg beim Menschen abzeichnet, ist es im zweiten Schritt eine Überlegung, Spinnenseide auch bei Patienten mit Querschnittlähmung einzusetzen.
Radtke ist nach Hildegunde Piza in Innsbruck erst die zweite Ordinaria (Lehrstuhlinhaberin) für plastische Chirurgie im deutschsprachigen Raum: "Meine renommierten Vorgänger, der kürzlich verstorbene Spezialist für Handchirurgie, Hanno Millesi, und Manfred Frey haben Wien zu einem führenden Zentrum für die Regeneration von Nerven – etwa im Bereich der Hände – gemacht. Diese Tradition will ich mit innovativen Methoden fortsetzen."
Kommentare