Der etwas andere Medizinertest

Der etwas andere Medizinertest
Ampulle aufziehen, Gesprächsführung: Wie die Privatuni Medizinstudenten auswählt.

Eine Anleitung zeigt die einzelnen Schritte, dann haben die Kandidaten sechs Minuten Zeit: "Anziehen steriler Handschuhe und Ampullen aufziehen", lautet Aufgabe Nummer sieben für die Bewerber zum neuen Medizinstudium an der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) in Wien. Bewertet wird aber nicht nur die Geschicklichkeit: "Es geht generell um Problemlösungskompetenz", sagt Georg Aumayr, Leiter der Abt. Forschung bei der Rettungsorganisation "Die Johanniter", die die Station betreut: "Es gibt nichts Schlimmeres als einen Arzt, der sich selbst überschätzt und nicht traut, andere zu fragen oder Fehler übergeht."

447 Bewerber gab es heuer für das SFU-Medizinstudium. 180 Studierende werden pro Jahrgang aufgenommen. 45 % sind heuer Männer, 55 % Frauen, das entspricht dem Verhältnis aller Bewerbungen. 72 % sind aus Österreich, 25 % aus Deutschland.

Einfühlungsvermögen

Acht Stationen müssen die Studenten durchlaufen, zusätzlich ein Motivationsschreiben verfassen. Bei Station sechs müssen sie in die Rolle eines Arztes schlüpfen, der Jungeltern erklärt, dass beim Neugeborenenscreening ein erster Test einen Verdacht auf eine Erbkrankheit erbracht hat – dies aber durch einen weiteren, genaueren, erst bestätigt werden muss. "Hier geht es auch um das Einfühlungsvermögen: Wie gut kann der Kandidat erklären, dass das erste Testergebnis nicht endgültig ist und im Falle einer Bestätigung eine Therapie möglich ist", sagt Friederike Seiler, Mitglied der Fakultätsleitung. Durch mehrfache solcher Kurz-Interviews an den Stationen soll ein ganzheitliches Bild des Bewerbers ermittelt werden, fachliche Fähigkeiten ebenso wie soziale – und auch Sympathiewerte. Für die Fachbeurteilung und Sympathie vergeben die Assessoren (Bewerter) Punkte von eins bis zehn. "Komplexe multivariate (statistische, Anm.) Verfahren sorgen für eine Objektivier- und Vergleichbarkeit der Werte" – dass etwa der Einfluss eines besonders strengen Prüfers zu keiner Verzerrung des Gesamtergebnisses führt. Seiler: "Uns geht es um eine ganzheitliche Sicht. Künftige Ärzte müssen besser ausgebildet sein im Erfassen des ganzen Menschen – und darauf achten wir auch schon bei unserem Auswahlverfahren."

"Breit und objektiv"

"Das Besondere ist, dass nicht nur kognitive Fähigkeiten erhoben werden, sondern auch wichtige Kriterien wie Empathie und sozialer Zugang zum Studium", sagt Prim. Univ.-Prof. Michael Amon, Vorstand der Augenabteilung bei den Barmherzigen Brüdern in Wien und einer der Assessoren. "Durch die vielen Stationen ist das Verfahren breit und objektiv, das führt aus meiner Sicht zu einer gerechteren Beurteilung. Ich glaube, dass das den Ansprüchen, die an künftige Ärzte gestellt werden, eher gerecht wird."

Die Eignungstests für das Medizinstudium an den öffentlichen Unis sorgen seit ihrer Einführung 2006 für Diskussionen. Seit 2013 wird in Wien, Graz, Innsbruck und heuer auch in Linz der an der Uni Graz entwickelte Test Med-AT eingesetzt. Zuletzt hatte Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser erklärt, der Test benachteilige Frauen.

"Der Med-AT-Test misst in erster Linie, ob ein Bewerber die nötigen kognitiven Fähigkeiten für das Studium mitbringt, ob er naturwissenschaftliche Zusammenhänge versteht und sich Wissen aneignen kann", so Entwickler Univ.-Prof. Martin Arendasy, Leiter der Abt. für Psychologische Diagnostik und Methodik am Institut für Psychologie Karl-Franzens-Uni Graz.

Seit heuer gebe es aber auch einen Fragenblock zum Thema "Soziales Entscheiden" – 2016 komme eine Aufgabengruppe hinzu, die die soziale und emotionale Kompetenz breiter abdecken soll.

Arendasy: "Die Studierfähigkeit ist das unmittelbar entscheidende – sie steht vor dem Arztsein. Ich glaube nicht, dass man bei 18-Jährigen schon vorhersagen kann, wer ein guter Arzt wird." Prognosen über längere Zeiträume, z.B. zur Empathiefähigkeit, seien kaum zuverlässig und aussagekräftig möglich: "Life Events – einschneidende Ereignisse wie etwa ein Todesfall – können eine Persönlichkeit sehr rasch ändern." Ab 2016 werden auch "ethische Dilemmata" verstärkt in den Med-AT-Test eingebaut: "Da geht es um Alltagssituationen, etwa Entscheidungen, wenn in einer Familie mehrere Kinder vorhanden sind, aber die finanziellen Mittel nur für bestimmte Anschaffungen ausreichen." Der Med-AT-Test sei auch "gender-fair": "Er garantiert Chancengleichheit, unabhängig z. B. von Geschlecht oder Nationalität", so Arendasy. Der Test der SFU sei in einem Teilbereich "ein interessanter Ansatz, aber mir fehlen darin einige aussagekräftige Bereiche. Ich würde mich gerne mit den Kollegen an einen Tisch setzen. Vielleicht wäre ein gegenseitiger Gedanken- und Erfahrungsaustausch von Vorteil."

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