Seltener Gendefekt: Ein "Löwenbaby" kämpft um sein Leben

Mattis braucht seine Eltern 24 Stunden am Tag. Seine Mutter beschreibt den Alltag in einem Blog
Der Welttag für seltene Erkrankungen am 28. Februar soll Bewusstsein für Betroffene schaffen.

Mattis ist ein "Löwenbaby", ein großer Kämpfer : Seit seiner Geburt im Dezember 2015 musste er bereits 20 Lungenentzündungen und mehrere Operationen durchstehen. Der kleine Oberösterreicher leidet am Gendefekt Mirage-Syndrom (SAMD9), bei dem unter anderem die Nebennieren nicht vorhanden sind. Dazu kommen komplexe zerebrale Veränderungen, Magen-Darm-Störungen und er wächst nur sehr langsam.

Das Mirage-Syndrom zählt zu den seltenen Erkrankungen, auf die alljährlich am 28. Februar (in Schaltjahren am 29.) aufmerksam gemacht wird. "Kampagnen wie diese erhöhen das Bewusstsein in der Bevölkerung und bei den niedergelassenen Ärzten", sagt Ao. Prof. Elisabeth Förster-Waldl vom Zentrum für seltene und unbekannte Krankheiten (CeRUD) an der MedUni Wien. Per definitionem sind damit Krankheiten gemeint, von denen nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betroffen sind. Etwa 8000 gibt es.

Seltener als Jackpot

Mattis’ Erkrankung gehört zu Recht dazu: Lediglich fünf weitere lebende Kinder mit diesem erst 2016 erstmals beschriebenen Gendefekt konnten seine Eltern via Internet bisher ausfindig machen. "Die statistische Wahrscheinlichkeit eines Lotto-Jackpots ist schon äußerst gering, aber diese Erkrankung ist so derartig selten, dass es einem wie ein schlechter Traum vorkommt", sagt Mattis’ Vater Lukas Plescher, 31. Bis er und seine Lebensgefährtin Corinna Hofbauer, 30, realisierten, was diese Diagnose bedeutet, habe es einige Zeit gedauert.

Schon bis dahin erlebte das Paar Wechselbäder der Gefühle. "Es war ziemlich grenzwertig." Ein Organscreening in der 24. Schwangerschaftswoche hatte erste Hinweise gegeben, dass das Baby zu klein ist. "Aber Abtreibung kam nie infrage, auch wenn sich abzeichnete, dass er Probleme beim Wachstum hat. Viele zu kleine Föten kommen gesund zur Welt", sagt Plescher. Zwei Monate vor dem errechneten Geburtstermin stagnierte das Wachstum dann völlig, die Herztöne wurden schwächer – Mattis wurde auf die Welt geholt.

Schon bald danach tauchte erstmals ein Verdacht auf Nebennierenprobleme auf – "damit begann ein richtiger Untersuchungsmarathon", erinnert sich Papa Lukas. "Irgendwann wurde schließlich der gesamte Genpool untersucht." Doch bis die endgültige Diagnose feststand, mussten sie Monate warten. Rückblickend würden sie sich für betroffene Eltern mehr Unterstützung in derartigen Ausnahmesituationen wünschen. "Man sollte mehr als Partner gesehen werden." Und: Kommunikation sei besonders wichtig.

Seltener Gendefekt: Ein "Löwenbaby" kämpft um sein Leben
Mattis, seltene Erkrankungen, Mirage-Syndrom
Rund 80 Prozent der seltenen Erkrankungen haben eine genetische Ursache. "Sie nehmen nicht zu, aber diese Erkrankungen können heute viel besser diagnostiziert werden", sagt Assoc. Prof. Kaan Boztug, CeRUD-Leiter. "Früher wurden viele gar nicht erkannt oder endeten bereits im frühen Kindesalter tödlich", ergänzt seine Kollegin Ao. Prof. Elisabeth Förster-Waldl.

Im Zentrum werden viele Anforderungen für Diagnose und Therapie seltener Erkrankungen gebündelt. Oft betreffen sie mehrere Organe. "Daher ist eine interdiszplinäre Betreuung wünschenswert", erklärt Boztug. Förster-Waldl: "Mit dieser besseren Organisation kommen die Patienten schneller zu einer Diagnose."

Individuelle Verläufe

So individuell wie die vielen seltenen Krankheiten selbst, so unterschiedlich sind auch die Verläufe und Therapien. Bei der zystischen Fibrose, der Häufigsten unter den seltenen Erkrankungen, gibt es bereits eine Reihe von Optionen. "Bei Immundefekten mit fehlenden Antikörpern können wir diese relativ gut therapieren", erklärt Boztug. Im Alltag unterstützen sich viele Betroffene in Selbsthilfegruppen gegenseitig. "Sie sind hier ein sehr wichtiger, aktiver Faktor", betont Förster-Waldl.

Mattis’ Mutter Corinna Hofbauer schuf sich schon bald nach der Diagnose ein eigenes Ventil: Sie startete einen Internet-Blog (www.mattis-miragesyndrom.at), in dem sie über ihren Alltag mit Mattis berichtet – von Freud über Leid bis zu Schwierigkeiten mit Behörden. Der Bub braucht seine Eltern 24 Stunden am Tag, ihr Zuhause gleicht einer kleinen Intensivstation. "Mit Mattis ist es ein Leben von Tag zu Tag."

400.000 Österreicher sind betroffen

Definition: Von einer seltenen Krankheit spricht man, wenn nicht mehr als fünf von 10.000 Einwohnern betroffen sind. Bei den meisten Krankheiten sind es viel weniger. Bei einigen ist es nur je eine Familie in der EU.

Zahlen: In der EU sind geschätzte 30 Millionen Menschen betroffen, in Österreich ca. 400.000- Insgesamt gibt es ca. 6000 bis 8000 seltene Erkrankungen.

Ursachen: Seltene Krankheiten können jeden treffen, auch im späteren Leben (Erkrankungen des Immunsystems, Infektionen). Rund 80 Prozent sind allerdings genetisch bedingt.

Veranstaltungen: Im Wiener MQ veranstaltet die Selbsthilfeallianz „Pro Rare“ am 4. März (13 h) ein Fest, Am 1. März (ab 10 h) findet im Zentrum für seltene Erkrankungen Innsbruck Vorträge statt.

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