Schmerztherapie als ethisches Muss

Totale Schmerzfreiheit ist eine Illusion. Aber auch eine Reduktion bringt einiges.

Heute muss niemand mehr an Schmerzen leiden.“ Das hörten Patienten seit den 1990er-Jahren aufgrund großer Fortschritte in der Medikamentenentwicklung und Schmerztherapie oft. Mittlerweile hat sich eine realistischere Einschätzung durchgesetzt: „Totale Schmerzfreiheit ist ein unrealistisches Anliegen. Das kann und darf man nicht versprechen. Aber unnötige Schmerzen – die können wir heute sehr gut behandeln“, sagt Univ.-Prof. Günther Bernatzky, Präsident der Österreichischen Schmerzgesellschaft (ÖSG).

Die Grenzziehung zwischen solchen „unnötigen“, aber behandelbaren Schmerzen, und solchen, die nicht wegzubringen sind, ist freilich schwierig. „Den“ Schmerz gibt es nämlich nicht – und folglich keine Wunderdroge. „Auch mit modernen Schmerzpumpen erreichen wir keine Schmerzfreiheit, aber immerhin eine Reduktion von 50 Prozent“, betont Prim. Rudolf Likar. Bei Tumorpatienten etwa könne dies die Lebensqualität enorm erhöhen.

Umfassende Therapie

Likar leitet am Klinikum Klagenfurt das Zentrum für Interdisziplinäre Schmerztherapie, Onkologie und Palliativmedizin. Eine moderne, umfassende Therapie sieht er „als ethisches Muss“, egal ob die Schmerzen von Tumoren, Bewegungsapparat oder Migräne stammen. Studiendaten zeigen, dass chronische Schmerzzustände bei Erwerbstätigen zunehmen, sich viele Patienten aber medizinisch nicht gut betreut fühlen (siehe Grafik).

Was sich in der Schmerztherapie durchgesetzt hat: Der ganze Mensch muss in die Therapie einbezogen werden, Schmerzmittel allein sind zu wenig. Likar: „Wir sprechen von einem biopsychosozialen Schmerzmodell, bei dem der Patient individuell und mit seiner Lebensgeschichte betrachtet werden muss.“ Bernatzky ergänzt: „Wir wissen, dass die Schmerztherapie von vielen Faktoren abhängig ist.“ Das Spektrum reiche von der Therapietreue des Patienten bis zur Kommunikation mit Ärzten und Pflegepersonal.

„Fächerübergreifende Zusammenarbeit muss viel stärker ausgebaut werden“, fordert Erika Folkes, Allianz Chronischer Schmerz, in der sich 34 Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen haben. Sie fordern etwa mehr spezialisierte Einrichtungen für Schmerzpatienten. Mit einer Unterschriftenaktion (Infos auf der Homepage) wird darauf aufmerksam gemacht.

Solche Patientenplattformen stellen ein immer wichtigeres Element in der Schmerztherapie dar, betonen die Schmerzmediziner. Für eine realistische Erwartungshaltung und um herauszufinden, was ein Patient individuell braucht, ist allerdings Zeit notwendig. Schmerzexperte Rudolf Likar aus Klagenfurt betont: „Auch das Arztgespräch ist eine wirksame Droge.“

KURIER-Telefonsprechstunde

Zum Thema „Psyche und Schmerz“ sowie „psychologische Schmerztherapie“ ist heute, Freitag, von 14 bis 15 Uhr die Gesundheitspsychologin Monika Pucher am KURIER-Telefon: 01 / 526 57 60.

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Schmerztherapie als ethisches Muss

Bereits Schmerzzustände, die zwischen zwei und vier Wochen andauern, hinterlassen ihre Spuren im Gehirn. Diese Erkenntnisse der Gehirnforschung machen deutlich, warum vor allem chronische Schmerzen auf mehreren Ebenen angepackt werden müssen.

Experten sprechen deshalb von einer multimodalen Schmerztherapie. „Es sollten mindestens zwei Fachdisziplinen – eine davon psychiatrisch oder psychologisch – einbezogen werden“, erklärt Prim. Johannes Kirchheimer von der Sonderheilanstalt für Rehabilitation im Thermenhof in Villach. Im Grunde werden jedoch Bausteine wie medizinische Behandlung mit Medikamenten, Physiotherapie, Entspannungsmaßnahmen, Schmerzbewältigungstraining sowie Patientenschulung und Information miteinander kombiniert.

In Landesklinikum Klagenfurt versucht man in einem dreijährigen Pilotprojekt eine tagesklinische Betreuung von Schmerzpatienten. Diese werden über sechs Wochen täglich zwischen acht und 15 Uhr in Kleingruppen betreut – mit physikalischen bis hin zu Gruppentherapien. In Skandinavien, den Niederlanden oder Großbritannien setzt man dieses Konzept bereits häufiger um als hierzulande. Prim. Rudolf Likar verweist auf internationale Daten. „Wir wissen, dass sich bei derart betreuten und geschulten Patienten das Schmerzempfinden deutlich reduziert. Wenn man wieder in den Arbeitsprozess zurückkehren kann, ist das ein enormer Erfolg.“

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