Sanfter Start für die Allerkleinsten

Sanfter Start für die Allerkleinsten
Am größten deutschsprachigen Zentrum für Frühgeborene werden die Eltern intensiv eingebunden

Viktor Gabriel ist erschöpft. Gähnt ausgiebig. Seine Mama Slobodanka zupft noch eines der beiden Mini-Söckchen an den winzigen Fußerln zurecht und lächelt. „Das war jetzt anstrengend für ihn.“ Wickeln, trinken, kuscheln samt zarter Massage kosten einem so kleinen Menschlein eben Kraft.

Erst recht, wenn der Start ins Leben Monate vor dem errechneten Geburtstermin erfolgte. Viktor Gabriel wog nur 652 Gramm, als er am 31. August in der Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien / AKH Wien zur Welt kam – in der 24. Schwangerschaftswoche. Seither ist seine Mutter jeden Tag bei ihm, zum Teil auch rund um die Uhr. „Rückblickend ist die Zeit schnell vergangen. Es war oft anstrengend, aber man muss Geduld haben. Jeden Tag tut sich etwas Neues.“

Erfolgsgeschichte

Nächste Woche darf Viktor Gabriel das Spital verlassen. Mit 2200 Gramm Gewicht. Und noch immer einen Monat vor seinem ursprünglich errechneten Geburtstermin. „Er ist derzeit unser Star“, sagt Pflegeleiterin Astrid Holubowsky. Es sei nicht selbstverständlich, dass sich derart frühe Geburten so problemlos und ohne Rückschläge so rasch weiter entwickeln.

Es gelingt immer öfter, extreme Frühchen, die schon zwischen Woche 23 und 27 zur Welt kommen, gut über die Runden zu bringen. Pro Jahr sind es in der Uni-Kinderklinik etwa 100. Hier ist man auf diese Fälle spezialisiert. Erst heuer wurde die Neonatologie um eine Station (Intermediate Care Station) erweitert. Im deutschsprachigen Raum gibt es kein anderes dieser sogenannten Perinatalzentren, das eine so große Anzahl extrem unreifer Frühgeborener betreut. „Studien zeigen, dass die Kinder in solchen hochspezialisierten Zentren signifikant bessere Chancen haben“, sagt Univ.-Prof. Angelika Berger, stellvertretende Leiterin der Neonatologie. Die Betreuung verbessere sich ständig. „Die Allerkleinsten profitieren davon. Bei noch unreifen Lungen können wir die für die Reifung notwendige Substanz über eine dünne Sonde direkt in die Lunge einführen. Wir müssen meist nicht mehr intubieren und künstliche beatmen – die Nebenwirkungen fallen weg.“

Das Betreuungskonzept umfasst nicht nur Hightech-Medizin. Es setzt stark auf den menschlichen Faktor. Dabei spielen die Eltern eine große Rolle. Berger: „Wir sehen sie nicht als Besucher. Sie sind wichtige Partner, die das Kind braucht.“ Hautkontakt und Stimme fördern die Entwicklung. Bei der Känguru-Methode liegt der Winzling auf der elterlichen Brust, das stimuliert seine Sinne. Da bekommt der eigene Herzschlag eine ganz neue Bedeutung: Er wird zur Medizin und beruhigt das Baby mit diesen ihm aus dem Mutterleib vertrauten Tönen.

Schwangerschaft Eine Schwangerschaft dauert 40 Wochen. Als Frühgeburten gelten Kinder, die vor der Woche 37 zur Welt kommen. An der MedUni Wien überleben 60 Prozent der extremen Frühgeburten in Woche 23, international sind es 30 Prozent. In Woche 24 überleben bereits 80 Prozent, in Woche 25 sind es 90 Prozent der weniger als 1000 Gramm leichten Babys.

Tag der Frühgeburten Am 17. November wird weltweit die Aufmerksamkeit auf diese größte Patientengruppe der Kinderheilkunde gerichtet.

„Wir brauchen das Engagement der Eltern nicht deshalb, weil es so nett ist und die Beziehung fördert. Studien zeigen, dass diese Nähe auch einen unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns hat“, sagt Univ.-Prof. Angelika Berger, stellvertretende Leiterin der Neonatologie an der MedUni Wien/AKH Wien.

Die Entwicklung des Gehirns passiert vor allem zwischen der 23. und 40. Schwangerschaftswoche. „Also in jener Zeit, in der die Frühgeborenen bei uns in der Klinik sind.“ Die Gehirnzellen sind noch nicht vollständig ausgebildet, haben sich noch nicht vernetzt und befinden sich noch nicht an jenen Plätzen, wo sie hingehören, etwa in der Hirnrinde. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind Reize, die das Baby wahrnimmt: Also etwa Stimme und Herzschlag der Mutter, Geräusche und seine eigenen Bewegungen im Bauch.

In der Klinik versucht man, dies bestmöglich zu imitieren. Dass die sogenannte familienzentrierte und individuelle Betreuung wirkt, zeigen Studien. Mit moderner Magnetresonanz ist etwa sichtbar, dass die Gehirne dieser Kinder mehr Vernetzungen und Synapsen aufweisen als Frühchen, die in konventionellen Stationen betreut wurden.

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