Als Krieg Kunst wurde

Vor 80 Jahren schoss Robert Capa an der spanischen Front das berühmteste Kriegsfoto. Oder war alles ganz anders?

Es sieht aus wie ein Kriegsfoto: Ein Mann wird von einer Kugel getroffen, er stürzt nach hinten, wirft den Kopf zurück, die Augen sind geschlossen, seine Waffe entgleitet ihm. Als Robert Capa das Foto am 5. September 1936 im Spanischen Bürgerkrieg schießt, kennen nur wenige seinen Namen. Als es ein Jahr später zufällig in der damals wichtigsten Zeitschrift LIFE abgedruckt wird, lernt ihn die ganze Welt kennen. Der "fallende Soldat", ein republikanischer Milizionär, der stellvertretend für alle gefallenen Soldaten steht. Es wird das berühmteste Kriegsfoto der Welt. Und stellt Experten sowie Betrachter heute noch vor Rätsel.

Anton Holzer ist Fotohistoriker, Publizist und Ausstellungskurator in Wien. Für ihn steht fest, dass das Foto einen Krieg zeigt, den es so nie gab: "Der Spanische Bürgerkrieg wurde mit enormem technischem Aufwand geführt, mit Flugzeugen und Panzern. Soldaten haben so nie aufeinander geschossen. Es ist ein gereinigtes Bild, ein prototypischer Kampf, ein Soldat, der auf freiem Feld zum Opfer wird."

Als Krieg Kunst wurde
Portrait of photographers Gerda Taro (1910 - 1937) (left) and Robert Capa (1913 - 1954), 1936. (Photo by Fred Stein Archive/Archive Photos/Getty Images)
Capa wurde 1913 als Endre Ernö Friedmann in einer jüdischen Familie in Budapest geboren. Als das Foto entsteht, ist der begeisterte Republikaner schon seit Wochen in Spanien. Er fertigt mit seiner Berufskollegin und Geliebten Gerda Taro für einen Pariser Herausgeber Fotoreportagen an. Bisher nur mit mäßigem Erfolg. Damit sich die Bilder besser verkaufen, geben sie sich markante Namen: Aus Friedmann wird Capa, ein US-Fotograf, aus Gerta Pohorylle wird Gerda Taro. Sie ist erfahrener und bekannter als er. Die beiden fotografieren mit kleinen Kameras, die schnell hintereinander Bilder machen, zusammen und getrennt, näher am Geschehen als andere.

Rolle verändert sich

Als Krieg Kunst wurde
Portrait of photographer and journalist Robert Capa (1914 - 1954) in a military style jacket and helmet as he leans in an armored vehicle, Portsmouth, England, June 6, 1944. He carries a camera over his shoulder and has a canteen on his left hip. (Photo by David Scherman/The LIFE Picture Collection/Getty Images)
Die Rolle des Kriegsfotografen veränderte sich in dieser Zeit, erklärt Holzer. "Er bricht aus der Anonymität aus, hat einen Namen und wird zur eigenständigen Figur im Medienbetrieb". Capa vermarktet sich selbstbewusst und geschickt. Im Bildband "Death in the Making" scheint 1938 nur sein Name auf. Taro ist zu diesem Zeitpunkt seit einem Jahr tot. Und er der alleinige Superstar. Sein Credo: "Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, bist du nicht nah genug dran." Er scheut keine Gefahr, fotografiert den chinesischen Widerstand gegen die Japaner, dokumentiert am "D-Day", wie Soldaten kämpfen und sterben. 1947 gründet er mit dem Journalisten Henri Cartier-Bresson und anderen die Agentur Magnum – benannt nach den vielen Flaschen Champagner, die sie leerten. Er arbeitet in der Sowjetunion, ist bei der Gründung des Staates Israel dabei und beim Ausbruch des ersten Nahost-Krieges. Capa ist Mitte Dreißig und eine Ikone.

Mythos bröckelt

Erst in den 1970ern bröckelt der Mythos. Gerüchte, Capas berühmtes Bild sei gestellt, verdichten sich. Journalist Philipp Knightley zweifelt in einem Buch die Echtheit vieler Kriegsfotos an. Holzer: "Sie wurden zunehmend als propagandistisch kritisiert. Es war aber bis dato üblich, Bilder zu stellen, vor allem im Ersten Weltkrieg. Die Denkweise, dass Bilder wahrhaftig und vor Ort entstanden sein mussten, war neu." Der Experte glaubt an keine bewusste Täuschung durch Capa. "Er wollte gute und dramatische Bilder machen, die sich verkaufen. Ob sie im Kampf oder bei Übungen entstanden sind, war zweitrangig." Auch ein 2008 gefundener Koffer mit Negativen brachte keine Klarheit. Die Aufnahme des spanischen Soldaten war nicht dabei. Immerhin ist heute bekannt, dass er Textilarbeiter war. Und dass es an jenem Ort, wo er fotografiert wurde, keine größeren Gefechte gab.

Capa war längst tot, als sein Werk angezweifelt wurde. Er starb 1954 mit 40 Jahren in Indochina. Eigentlich wollte er seine Karriere beenden, doch er brauchte das Geld. Eine Landmine explodiert unter seinen Füßen. Die Kamera hielt er dabei fest in Händen.

1846: Im mexikanisch-amerikanischen Krieg wird erstmals fotografiert.

1853: Der britische Journalist William Howard Russel berichtet über die katastrophalen Zustände im Krimkrieg. Das britische Königshaus, am Krieg beteiligt, schickt Roger Fenton mit einem mobilen Fotolabor hin. Er fotografiert keine Leichen, nur Porträts von Offizieren, Landschaftsaufnahmen.

1861: Während des US-Bürgerkriegs sind Teams an Fotografen mit fahrbaren Entwicklungs- und Vergrößerungslabors im Einsatz. Sie fotografieren vor allem Leichen.

1890er: Kriegsfotografien verbreiten sich auch in der illustrierten Massenpresse.

1914: Bildliche Kriegsberichterstattung verändert sich im Ersten Weltkrieg: Bilder dienen für Propagandazwecke – auf allen Seiten gibt es eigens dafür zuständige Stellen. Sie kontrollieren, welche Fotos an die Presse kommen.

1920er: Das Mediensystem verändert sich: Neue Zeitungen werden gegründet, die Nachfrage nach aktuellen Fotos steigt, Bildagenturen entstehen.

1936: Der Spanische Bürgerkrieg bricht am 17. Juli aus. Robert Capa und Gerda Taro begleiten republikanische Truppen und revolutionieren die Kriegsfotografie: Sie sind nah dran, verwenden kleine Kameras, ihre Namen werden bekannt. Im September entsteht Capas Bild „Der fallende Soldat“. Ein Jahr später wird Taro von einem
Panzer überrollt. Sie ist die erste Fotografin, die im Kriegseinsatz stirbt. 100.000 Menschen kommen zum Begräbnis nach Paris.

1938: NS-Propagandafotografen zeigen Soldaten in Heldenposen, tabu sind Tote und Verletzte. Capa ist aufseiten der Alliierten bei der Landung in der Normandie dabei.

1965: Die Antikriegsbewegung übt Kritik an Fotos vom Vietnamkrieg. Fotoreporter dokumentieren Leid und Verbrechen, liefern aber auch Propagandabilder.

2003: Im Zweiten Irakkrieg absolvieren Hunderte Journalisten ein Militärtraining und begleiten US-Streitkräfte als „embedded journalists“ (eingebettete Journalisten) an die Front. Sie liefern Bilder und Berichte per Satellit.

Ab 2010: Amateuraufnahmen von Aufständen, Protesten und Revolten in der arabischen Welt verbreiten sich durch soziale Medien und gewinnen an Bedeutung.

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