500 Jahre Thesenanschlag: Was Martin Luther wollte

Luther (1483–1546) ist überall: Vor dem 500. Jubiläum seines Thesen-Anschlags 2017 wird ein ganzes Jahr lang gefeiert.
Ein Jahr vor dem 500. Jubiläum wird der Reformator groß gefeiert – was aber wollte er?

Hat er seine 95 Thesen persönlich mit dem Hammer an die Tür der Wittenberger Schlosskirche genagelt, oder war es jemand anderer? Fest steht: Am 31. Oktober 1517 hingen Martin Luthers Thesen in Wittenberg an der Kirchentür. Jüngsten Forschungen zufolge, war es angeblich der Hausmeister. Gleichzeitig schrieb Luther einen Brief an den Mainzer Ezrbischof Albrecht von Brandenburg. Luther brachte mit beidem die Grundfeste der Kirche ins Wanken. Grund für die Evangelische Kirche zwölf Monate vor dem 500. Jubiläum das "Reformationsjahr" auszurufen. Ein Programm-Reigen, der besonders in Deutschland groß gefeiert wird. Und bei dem sich alles um den Mann aus Wittenberg dreht.

Was er wollte

Verehrt wurde er bereits 100 Jahre nach seinem Tod. Bis heute. "Was Luther wollte – seine Glaubenslehre – rückte in den vergangenen Jahren in den Hintergrund," sagt Wolfgang Breul, Theologe und Historiker an der Universität Mainz. Was Luther nicht wollte, ist umso bekannter: Es steht in jenem Brief, den er an Albrecht von Brandenburg, Erzbischof von Mainz und Magdeburg schrieb. Darin kritisierte er die Finanzierungspraxis der katholischen Kirche. Seit Jahren verdiente sie an der Angst der Menschen. Wer ein sündenbefreites Leben im Paradies führen wollte, konnte sich dies in Form von Ablassbriefen erkaufen.

Der Ertrag floss etwa in den Bau des Petersdomes, den Papst Julius II. in Auftrag gab. Sein Nachfolger Leo X. setzte ihn fort. Ebenso den Ablasshandel. Sein "Partner in Crime" war Albrecht von Brandenburg – dieser kaufte beim Vatikan Titel ein und stand dort in Geldschuld, ebenso beim Bankhaus der Fugger. Um Geld einzutreiben, schickte er den Ablassprediger Johann Tetzel durchs Land.

Als der Wittenberg erreichte, platzte Luther der Kragen, und er griff zur Feder: "Ich klage dabei nicht so sehr über das Geschrei der Ablaßprediger, das ich persönlich nicht gehört habe. Wohl aber bin ich schmerzlich erzürnt über die grundfalsche Auffassung, die das Volk daraus gewinnt und mit der man sich überall öffentlich brüstet."

500 Jahre Thesenanschlag: Was Martin Luther wollte
epa04627025 Conservator Beatrix Kaestner looks at an undated portrait of Martin Luther by Lucas Cranach Sr. in the Ducal Museum, Friendenstein Castle Gotha in Gotha, Germany, 19 February 2015. The exhibition 'Cranach in the Service of Court and Reformation', showing art works by Lucas Cranach Sr. and Lucas Cranach Jr. runs from 29 March to 19 July in Gotha. EPA/SEBASTIAN KAHNERT
Luther ist zu diesem Zeitpunkt kein Unbekannter. Als Sohn einer Bergwerksunternehmer-Familie 1483 in Eisleben geboren, studierte er auf Wunsch des Vaters Jus, ging aber 1505 ins Kloster zu den Augustiner-Eremiten in Erfurt. Dort stieg er in der Hierarchie schnell auf, wurde zum Priester, später zum Professor in Wittenberg. Und das, obwohl sein Charakter als aufbrausend, stur und eigenwillig beschrieben wird. So geht es zumindest aus seinen Schriften hervor.

Diese Sturheit war vielleicht mit dafür verantwortlich, dass er eine religiöse Revolution anzettelte. Seine erste These beschreibt den Kern seiner Ablasskritik, erklärt Historiker Breul. So genügt es, laut Luther nicht, irgendwelche Werke und Ablassbriefe zu kaufen. "Die christliche Existenz muss von Christus geprägt sein, und Buße heißt, dass man ein auf Gott und die Welt gerichtetes Leben führen soll." Gute Werke tun, wie es die römisch-katholische Kirche vorschreibt, reicht nicht aus, denn man sei zuerst auf die Gnade Gottes angewiesen. Breul: "Das verändert so, dass man in der Lage ist, gute Werke zu tun, ohne darüber nachzudenken."

Mit seinem Brief und den Thesen traf Luther den Nerv der Zeit, schreibt Tillmann Bendikowski in seinem Buch "Der deutsche Glaubenskrieg". Die Neuzeit, also die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert, ist geprägt von Bewegung: Entdecker auf Land- und Seeweg machen sich auf, um fremde Orte aufzuspüren. Die Erfindung beweglicher Lettern revolutionierte den Buchdruck.

500 Jahre Thesenanschlag: Was Martin Luther wollte
epaselect epa04696782 Children put together cubes made of plastic that show the artwork 'Martin Luther' by artist Lucas Cranach Sr. on occasion of the Cranach Days in Weimar, Germany, 09 April 2015. The Cranach Days run from 09 to 12 April 2015. EPA/SEBASTIAN KAHNERT
Diese Dynamik machte auch vor dem christlichen Glauben nicht halt. Die Menschen waren zwar fromm, gleichzeitig übten sie Kritik an der Kirche – über den Ablasshandel hinaus. Sie begannen das Auftreten der Geistlichen und ihre gesellschaftliche Führungsrolle anzuzweifeln. Dafür verfolgte und maßregelte man sie.

Wie später auch Martin Luther, der noch heute unter Kirchenbann steht. Bevor es so weit kam, nutzt er die Kraft der damaligen Medien, ließ seine Thesen auf Plakat drucken, publizierte Bücher, sandte eine seiner Schriften ("Von der Freiheit eines Kirchenmenschen", Anm.) an Papst Leo X. Dieser erklärte ihn zum Häretiker. Für den Experte Breul zeigte Luther auf, dass man seinem religiösen Gewissen mehr folgen muss als den Anweisungen von Autoritäten. "Laut ihm ist das Gewissen die letzte Instanz, allerdings das von Gott bestimmte Gewissen oder jenes von seinem Gegenspieler, dem Teufel. Damit leistete er einen wesentlichen Beitrag zur Moderne."

Anti-Judaismus

Weniger modern waren Luthers Ansichten gegenüber anderen Religionen, wie etwa dem Judentum. "Er war kein Antisemit, weil das Rassenvorstellung voraussetzt", erklärt Wolfgang Breul. Sein Anti-Judaismus war religiös motiviert. Und sein Hass schlug sich auch bei Gegnern innerhalb und außerhalb der Reformationsbewegung, nieder – etwa bei den Täufern sowie den Türken. Und das obwohl Luther das Wort Toleranz ins Deutsche einführte.

Experten sind sich einig: Luther hat die Reformation vorangetrieben, war aber nicht das Maß aller Dinge. "Er hat mit seinem persönlichen Auftreten die Grundlage für den Protestantismus geschaffen, es gibt aber noch viele andere Reformatoren, die Großes geleistet haben", sagt Kirchenhistoriker Breul. "Ich denke da Jan Hus in Prag oder an die Waldenser in Italien", ergänzt der österreichische Bischof Michael Bünker. Für ihn ist dies ein Mitgrund, warum hierzulande kein "Luther- sondern ein Reformationsjubiläum" gefeiert wird.

Luther & die Kirche: Wichtige Stationen

– 1517: Luther veröffentlicht 95 Thesen gegen den Missbrauch des Ablasshandels.
– 1518: Ein Ketzerprozess wird gegen ihn eingeleitet.
– 1520: Papst Leo X. antwortet mit der Bann-Androhungsbulle – Luther verbrennt sie. Er veröffentlicht seine drei reformatorischen Glossare, Hauptschriften, die rasch verbreitet werden.
– 1521: Der Papst erlässt die Bannbulle Decet Romanum pontificem: Luther wird exkommuniziert. Reichstag zu Worms: Luther weigert sich, seine Lehre zu widerrufen. Kaiser Karl verhängt über ihn die Reichsacht. Er ist rechtlos, ehrlos, vogelfrei. Kurfürst Friedrich der Weise lässt Luther auf die Wartburg bringen, wo er bis 1522 bleibt und das Neue Testament in die deutsche Sprache übersetzt.
– 1520er: Eine evangelische Massenbewegung setzt in Stadt und Land ein. Sie führt zum Zusammenbrechen der kirchlichen Autorität.

KURIER: Herr Bischof, Luther ist derzeit omnipräsent: Wie ist Ihre Sicht auf ihn?

Michael Bünker: Er ist eine der faszinierendsten Gestalten der deutschen Geschichte, nicht nur jener der Kirche. Mit seiner Bibel-Übersetzung trug Luther wesentlich zur Entstehung der deutschen Schriftsprache bei. Zu seiner Persönlichkeit: Man weiß nicht, war er noch ein Kind des Mittelalters oder schon mit einem Fuß in der Neuzeit. In der Bildungsfrage – dass Länder und Städte verantwortlich sind, Schulen einzurichten – war er sicher "modern". Sein Teufelsglaube und seine Feindseligkeit gegenüber Juden zeigen ihn aber als mittelalterlichen Menschen.

Reformation war mehr als das, was von Luther ausgegangen ist. Was sind die wesentlichen Punkte?

500 Jahre Thesenanschlag: Was Martin Luther wollte
ABD0005_20161023 - WIEN - ÖSTERREICH: Michael Bünker, Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich während eines Interviews mit der APA - Austria Presse Agentur am Donnerstag, 20. Oktober 2016, in Wien. - FOTO: APA/ROLAND SCHLAGER
Die persönliche Freiheit und Gewissensfreiheit: Es braucht keine Autorität, die zwischen dem einzelnen Menschen und Gott vermittelt. Das hat sehr viel an persönlicher Freiheit und Selbstständigkeit bewirkt. Über Umwege führte es auch zu Demokratie. Und dass Kirche nicht eine Sache von Institutionen und Organisationen ist, sondern von allen, die dazu gehören und gleichermaßen mitgestalteten. Dadurch ist hier eine neue, im weitesten Sinne auch politische, Kultur entstanden.

Was können wir von der Reformationsbewegung lernen?

Oft hört man, es würde jeder Religion gut tun, eine Reformation zu haben. Die römisch katholische Kirche hat etwa im Zweiten Vatikanischen Konzil vieles davon umgesetzt, was 500 Jahre zuvor in der Reformation aufgebrochen ist: Konzentration auf die Bibel, Beteiligung der Christen am Gottesdienst in der Landessprache. Das ist ein typisch evangelisches Erbe. Dass sich diese Kirche selbst kritisiert und reformierbar ist, führt dazu, dass man mit den eigene Grundlagen in einer aufgeklärten Weise umgeht.

Taugt der Reformator Luther heute als Idol?

In bestimmten Dingen schon. Es ist mutig, sich hinzustellen und zu sagen: ‚Mein in Gottes Wort gefangenes Gewissen und die Vernunftgründe sind stärker, als jede Autorität.‘ Diese Haltung beeindruckt mich. Da können wir uns heute schon etwas abschauen von ihm.

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