Psychiater: "Nicht in Panik und Pessimismus verfallen"

Blumen vor der französischen Botschaft in Berlin: "Nicht von Angst beherrschen lassen".
Arzt Wancata: Wer sich jetzt von Ängsten und Vorurteilen beherrschen lässt, spielt Terroristen in die Hände.

Angst, Ärger, Entsetzen, Furcht und Wut: Das sind bei vielen Menschen Reaktionen auf die Attentate. "Das ist ganz natürlich. Aber jetzt in Pessismus und Untergangsstimmung zu verfallen wäre der komplett falsche Weg", sagt der Sozialpsychiater Univ.-Prof. Johannes Wancata von der MedUni Wien im KURIER-Interview. "Denn damit hätten auch die Terroristen ihr Ziel erreicht."

Psychiater: "Nicht in Panik und Pessimismus verfallen"
Univ.-Prof. Dr. Johannes Wancata, MedUni Wien

KURIER: Was lösen solche Nachrichten auch in nicht beteiligten Menschen aus?

Auch bei Menschen, die nicht in irgendeiner Form persönlich betroffen sind, löst das Entsetzen aus, ein Es-Nicht-Glauben-Können, ein Nicht-Wahrhaben-Können, gefolgt von Wut, Ärger, Zorn, aber auch Angst. Natürlich stellen sich bei solchen Ereignissen viele die Frage: Könnte auch ich betroffen sein? Könnte meine Familie betroffen sein? Wichtig ist, das Ensetzen in einem zuzulassen, sich nicht zu vergraben, nicht es mit sich selbst ausmachen zu versuchen und auf keinen Fall den starken Mann oder die starke Frau zu markieren, die das alles nicht berühren kann. Es berührt in irgendeiner Form jeden Menschen und es ist wichtig, seine Betroffenheit, sein Entsetzen und seine Trauer auch zu zeigen und mit anderen darüber zu reden.

Aber ist es - so weit man das rational steuern kann - nicht auch wichtig, sich von diesen Gefühlen nicht überwältigen zu lassen, nach dem Motto: "Es ist alles so furchtbar?"

Selbstverständlich. Angst ist bei vielen da, ganz klar, aber sie darf nicht zum alles bestimmenden Gefühl werden. So wie die Politik sagt, "wir lassen uns nicht unterkriegen", muss man das auch auf persönlicher Ebene versuchen zu leben: Wer jetzt - überspitzt formuliert - sagt, "furchtbar, ich steige in kein Flugzeug mehr, ich gehe in keine Konzerthalle mehr oder in kein Fußballstadium" - wer nur mit solch einem Pessimismus und Negativismus reagiert, bei dem haben die Terroristen ihr Ziel erreicht: Sie haben es geschafft, einen mit ihrem Terror in Besitz zu nehmen, Angst und Furcht zur alles beherrschenden Emotion werden zu lassen. Die Terroristen hätten damit Macht über einen gewonnen, hätten einen persönlich destabilisiert. Das darf nicht sein. Das sollte niemand zulassen.

Psychiater: "Nicht in Panik und Pessimismus verfallen"
French people living in Thailand hold up candles as they pay tribute to the victims of the Paris attacks at The Alliance Francaise in Bangkok, Thailand, November 14, 2015. REUTERS/Athit Perawongmetha
Obwohl sich mittlerweile die Jihadistenmiliz „ Islamischer Staat“ zu den Anschlägen bekannt hat, werden in den sozialen Netzwerken vielfach auch die geflüchteten Menschen dafür verantwortlich gemacht.

Ziel von Terroristen ist es immer auch, neben Angst auch Spaltung zu verbreiten, Gesellschaften und Gruppen auseinanderzudividieren, die einen gegen die anderen auszuspielen. Wer jetzt solche Aussagen verbreitet, wird letztlich zu einem Helfeshelfer der Attentäter. Und auf die schwächsten Gruppen einer Gesellschaft - egal ob Flüchtlinge oder andere - jetzt loszugehen ist genau das, was die Terroristen wollen: Angst, Hass und letztlich auch Gewalt – verbale wie auch physische – zu schüren und damit das bei vielen Menschen vorhandene diffuse Gefühl der Unsicherheit weiter zu verbreiten. Wer jetzt versucht, seine Ängste und sein Entsetzen zu vemindern, indem er oder sie auf andere losgeht, hilft weder sich selbst noch anderen. Daher wäre es gerade jetzt wichtig, nicht auf andere loszugehen, sondern gemeinsam nach Lösungen für die Fragen und Herausforderungen unserer Gesellschaft zu suchen.

Psychiater: "Nicht in Panik und Pessimismus verfallen"
A man holds a flag of France during a gathering in solidarity for France a day after deadly attacks in Paris on November 14, 2015 in Stockholm. Two Swedish citizens may be among the victims of the attacks that killed more than 120 people in Paris, the foreign ministry said. AFP PHOTO / JONATHAN NACKSTRAND
Ist es nicht diese große Zahl verschiedener Terrorziele, die jetzt besonders Angst macht, das Gefühl, es kann überall passieren?

Natürlich, diese Unberechenbarkeit macht große Angst, nicht Ein- und Abschätzen zu können, wo so ein Anschlag passiert. Aber das war auch bei früheren Anschlägen schon so. Hier hilft es, solche Bedrohungen in Relation zu anderen Risiken zu stellen: So entsetzlich diese Anschläge in Paris sind - und es ist schwer, das mit anderen Dingen zu vergleichen -, aber aus der Sicht einer Einzelperson betrachtet, ist das Risiko, durch einen Autounfall zu sterben, deutlich höher. Das soll nur zeigen: Ja. es gibt eine Bedrohung, jeder einzelne von uns muss sich damit auseinandersetzen, aber so furchtbar das alles ist: Man muss das persönliche Risiko auch realistisch einordnen und in Relation zu anderen Gefahren setzen.

Wie reagieren Menschen, die besonders sensibel sind oder vielleicht auch schon einmal ein für sie traumatische Ereignis - etwa einen schweren Unfall - erlebt haben?

Da kann es im schlimmsten Fall zu einer posttraumatischen Störung kommen, wo die vergangenen Ereignisse neuerlich aktiviert werden und ins Bewussstein gelangen - Erinnerungen können wieder auftauchen, die zu Schlafproblemen oder Angstsymptomen führen. Bei bestehenden traumatischen Störungen und psychischen Problemen im Grenzbereich zu einer Krankheit können sich die Symptome verschlechtern. Wer zum Beispiel schon bisher Angst vor Menschenansammlungen hatte, bei dem kann sich das durch solche Ereignisse verstärken. Aber auch bei sehr sensiblen Personen, die dazu neigen, viele Dinge rascher als andere Menschen als bedrohlich zu erleben, können Symptome wie Unruhe, schnellerer Herzschlag oder Schwitzen auftreten. Viele von uns kennen das in angstmachenden Situationen - die Grenzen zur Krankheit sind hier sehr fließend. Professionelle Hilfe etwa durch einen Psychiater oder Psychologen hilft vielen, ist aber nicht in jedem Fall notwendig: Auch die Selbstheilungskräfte können viel bewirken, unterstützt durch ein gutes soziales Netz.

Psychiater: "Nicht in Panik und Pessimismus verfallen"
epa05024757 Flowers and candles are placed outside the French Embassy in Minsk, Belarus, 14 November 2015, in tribute to the victims of the 13 November Paris terror attacks. At least 120 people have been killed in a series of attacks in Paris on 13 November, according to French officials. Eight assailants were killed, seven when they detonated their explosive belts, and one when he was shot by officers, police said. French President Francois Hollande says that the attacks in Paris were an 'act of war' carried out by the Islamic State extremist group. EPA/TATYANA ZENKOVICH
Wie kann den direkt betroffenen Menschen in Paris am besten geholfen werden?

Menschen, die einen Angehörigen verlieren, oder auch Augenzeugen sind zuerst in einer Phase des Schocks und Entsetzens, können es oft nicht glauben: "Das kann doch nicht wahr sein." Erst danach kommt die Trauerphase. Die meisten Betroffenen wollen primär mit Menschen zusammensein, die ihnen vertraut sind und Geborgenheit geben - enge Angehörige, der Partner, Eltern. Diese sind ganz am Anfang oft wichtiger als Notfallpsychologen. Im zweiten Schritt hilft vielen aber das Da-Sein, die Begleitung und Unterstützung durch professionelle Helfer ganz besonders. Je schwerer das Trauma ist, je schwerer der darauf folgende Schock ist, um so wichtiger sind die professionellen Helfer.

Wie kann man Kindern die Ereignisse vermitteln?

Kinder haben heute viel mit Medien zu tun, zu versuchen, es ihnen zu verheimlichen, funktioniert ab einem gewissen Alter nicht mehr. Umkehrt finde ich es aber auch nicht als sinnvoll, sie gezielt damit zu konfrontieren und ihnen die Information aufzudrängen. Aber wenn sie Fragen stellen, ist es wichtig, diese zu beantworten und ihnen die Situation so weit zu erklären, so weit sie das wollen - das hängt stark vom Alter ab. Kinder haben oft viel größere Angst als Erwachsene, machen sich Sorgen. Deshalb ist es auch hier unbedingt notwendig, einen Realitätsbezug herzustellen: Dass die Anschläge nicht in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert sind und dass jetzt nicht ihre Familie bedroht ist. Alles, was ein wenig beim Einordnen so einer Tat hilft, entlastet ganz besonders auch die Kinder.

Kommentare