Populismus: "Diese Wähler hatten keine Heimat"

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Risikoforscher Ortwin Renn über die gefährdete Demokratie und wie Parteien und Bürger reagieren sollten.

Angst scheint ein Grundgefühl unserer Zeit zu sein: Migration, digitale Revolution und Klimawandel beunruhigen die Menschen. Auch die Demokratie scheint in Gefahr. Warum und wie sehr, sagt der Risikoforscher Ortwin Renn.

KURIER: Wie hoch schätzen Sie als Risikoforscher die Gefahr, dass populistische Strömungen die Demokratie zerstören?

Ortwin Renn: Eine Gefahr sehe ich darin, dass wir nicht mehr fähig sind, ein Thema auszudiskutieren, weil sich jeder gleich in seine Echokammer zurückzieht. Demokratie lebt vom Austausch von Argumenten, und davon, dass man Andersdenkende toleriert und andere Meinungen respektiert. Nur wenn man sich nach Diskussionen nicht einigen kann, ist es klug, abstimmen zu lassen. Besser es bestimmen 51 Prozent als 49 Prozent. Zum Austausch von Argumenten, zum Debattieren haben wir Parlamente, darauf ist unser politisches System aufgebaut.

Setzen deshalb Populisten auf Volksabstimmungen?

Ja, in der populistischen Strömung brauche ich diesen Austausch nicht mehr, weil ich glaube, die Wahrheit gepachtet zu haben. Da geht es nur darum, dem Gegner zu attestieren, dass er dumm, zynisch oder bestochen ist – andere Möglichkeiten gibt es nicht. So verliere ich Respekt vor dem Gegner. Das spüren wir bei denjenigen, die populistisch sehr angesprochen werden. Sie werden zunehmend ausfällig gegen politisch Andersdenkende und entziehen sich der Diskussion. Populisten bedienen das so gut, dass es zu einer faktischen Abgrenzung gegen andere kommt.

Was haben Institutionen wie Parteien und Gewerkschaften falsch gemacht, dass ihre Erklärungsmodelle nicht mehr akzeptiert werden?

Populismus: "Diese Wähler hatten keine Heimat"
Ortwin Renn, Risikoforscher

Die Fehler sind deutlich geworden bei der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten. Alle hatten unterschätzt, dass es eine große Zahl von Menschen gibt, die sich nicht als Gewinner der Digitalisierung und Globalisierung sehen, sondern als Verlierer bzw. Gefährdete. Für die gibt es keine Plattform. Auch die Linken waren lange auf dem Trip, dass das gut für die Welt ist, und dass alles nur kapitalistisch eingeschränkt werden muss. Diese Wähler hatten keine Heimat.

Und in Europa?

Auch bei uns gibt es viele, die einen Beruf gelernt haben und merken, dass ihre Jobs wegrationalisiert werden, und sie mit der Digitalisierung nicht zurecht kommen. Diese fühlen sich nicht aufgehoben in klassischen Parteien, deren Fehler es war, dass sie für diese Wähler teilweise nur Spott übrig hatten oder sagten: "Strengt euch ein bisschen mehr an". In Folge hatten wir zunehmend Nichtwähler – als die Populisten kamen, sagten die Nichtwähler: "Da spricht jemand unsere Sprache." Plötzlich haben sie sich politisch engagiert, was besser ist als sich abzuschotten. Aber die Gefahr der Abgrenzung, die bis zum Hass auf Andersdenkende führt, besteht.

Die Flüchtlingsbewegung war das große politische Thema. Haben Politik und Medien zu einseitig berichtet, also nur das Positive oder das Negative, ohne dass die ganze Bandbreite der Probleme dargestellt wurde?

Anfangs gab es die Willkommenskultur, eine euphorische Grundstimmung, wo man sagte: "Da kommen nur Ärzte, die unser Bruttosozialprodukt ankurbeln und sich gleich integrieren." Ein Fehler: Um Fremdenhass zu verhindern, ist man in die Verherrlichungsorgie eingestiegen. Doch die Erfahrung war manchmal eine andere. Da kamen auch Kleinkriminelle, Unhöfliche etc. Dann kippte das Bild des Flüchtlings vom Opfer zum Täter. Da gab es außerhalb der Populisten anfangs niemand, der das aufgegriffen hat.

Was heißt das für die demokratischen Parteien. Wie können sie diese Wähler zurückholen und für die Demokratie begeistern?

Wenn die Populisten in der Regierung sind, müssen sie sich in die institutionellen Prozesse eingewöhnen. Manchmal scheitern sie daran kläglich – denken sie an die Turbulenzen innerhalb der FPÖ unter Jörg Haider. Manchmal schleift sich das ab, weil sie die Wähler verprellen. Für die etablierten Parteien muss aber klar sein: Die Anhänger der Populisten sind genauso ansprechbar und in ihren Anliegen genauso nachvollziehbar wie das bei Wählern anderer Parteien der Fall ist. Ausgrenzen ist nicht sinnvoll – im Gegenteil, das wäre undemokratisch. Der Punkt ist: Man muss Angebote machen, die Perspektiven eröffnen. Populisten machen meist rückwärts gewandte Politik. Die Rezepte der Vergangenheit sind keine guten Rezepte für die Zukunft. Das werden die Menschen irgendwann merken. Man muss aufpassen, dass es nicht zu spät ist. Wenn jetzt der Populist kommt, der die Medien vereinnahmen kann, dann kann das umschlagen.

Beispiel Orban und Ungarn.

In Osteuropa ist das System fragiler, weil sie eine kürzere demokratische Tradition haben. Eine globalere Presse hilft natürlich, Demokratien zu stützen.

Die Welt ist komplex und im Umbruch. Populisten kommen mit alten Rezepten und einfachen Antworten und bedienen so die Sehnsucht nach der "guten alten Zeit".

Einfache Antworten klingen ja oft plausibel und daher glaubwürdig. Nehmen wir das Beispiel Klimawandel – da merken die Leute zwar, dass es wärmer wird, dennoch sind Ursache und Wirkung nicht einfach zu erklären. Wir haben da die Aufgabe, mit nachvollziehbaren Bildern etwa von schmelzenden Gletschern zu verdeutlichen, wie real der Klimawandel ist. Da zeigt sich, dass es einfache Antworten nicht gibt, nur weil sie gefallen.

Ihre These: Alternative Fakten werden immer beliebter, auch weil die Wissenschaft oft keine eindeutigen Antworten hat, sondern eine Palette an Erklärungen. Dennoch gibt es Aussagen, die definitiv falsch sind. Wäre es sinnvoll, das Verbreiten von Falschmeldungen zu verbieten?

Man fängt schon an, gegen extreme Hassmails vorzugehen, weil da die Meinungsfreiheit aufhört. Wahrheit zu zensieren ist schon schwieriger. Sinnvoller wäre es zu sagen, wir brauchen Plattformen, die eine Art Siegel haben, dass man ihnen vertrauen kann. Das ist nicht einfach, da Regeln aufzusetzen, aber möglich. Eine andere Alternative wäre z.B. auf EU-Ebene Plattformen zu entwickeln, wo man seriöse Antworten bekommt. Solange das nicht da ist, sollte jeder sehen, dass er bei Google nicht nur den ersten Treffer öffnet, sondern mehrere Quellen zurate zieht.

In Österreich feiern wir 100 Jahre Demokratie. Was raten Sie jemandem, der Angst um diese Regierungsform hat?

Drei Dinge: Demokratie lebt vom Engagement. Je mehr Sie sich in demokratischen Institutionen wie Parteien, Bürgerinitiativen engagieren, desto größer ist das Gegengewicht gegen Populisten. Zweitens: Jeder kann für Demokratie offensiv werben, sodass die Menschen merken, da tritt jemand dafür ein, der auch nicht blöd ist. Drittens: Aktiv Initiativen unterstützen, die bei Populisten negativ besetzt sind, etwa Integration, EU etc. Das Vorbild ist immer wichtig.

Info: Zur Person

Der international anerkannte Risikoforscher studierte ursprünglich Volkswirtschaft, Soziologie und Sozialpsychologie. Einer großen Öffentlichkeit bekannt wurde Renn durch sein Buch: „Das Risikoparadox. Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“, S. Fischer Verlag. Mit der Gefährdung der Demokratie beschäftigt er sich in seinem neuen Werk „Zeit der Verunsicherung. Was treibt Menschen in den Populismus?“, das im Rowohlt-Verlag als eBook erschienen ist. Der 66-jährige Nachhaltigkeitswissenschaftler ist Direktor am Insitute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam (Deutschland).

Gibt es ein nicht demokratisches Land, in das Sie gerne auswandern würden? Diese Frage stellte der deutsche Ex-Bundespräsident Joachim Gauck bei einer Podiumsdiskussion in der Uni Wien. Niemand würde wohl gerne nach China oder Russland auswandern: „Für viele Menschen auf der Welt sind demokratische Staaten Sehnsuchtsorte“, stellte Gauck fest.

Dennoch wird die Demokratie von immer mehr Menschen im Westen in Frage gestellt. Das sei nicht nur eine Folge wirtschaftlicher und sozialer Umwälzungen: „Demokraten müssen sich fragen lassen, ob sie eine Sprache verwenden, die Menschen in schwierigen Situationen verstehen. Sie sollten den Mut zu einer erhellenden Vereinfachung der Sprache haben, um sich dort Gehör zu verschaffen, wo es bisher keine Diskussionslandschaft ist.“ Es gehe aber nicht nur um die Wortwahl, wie das Beispiel USA zeige: „Ein Großteil der Trump-Wähler konnte mit den Themen der liberalen Elite nichts anfangen: Klimawandel, politische Korrektheit und Rechte sexueller Minderheiten spielen für Menschen, die keine Zukunftsperspektive haben, keine Rolle.“

Wieder offener diskutieren

Sein Wunsch: „Es muss wieder offener diskutiert werden.“ Debatten, etwa über Zuwanderung, seien zu schnell beendet worden – dabei halte es eine Demokratie aus, wenn man auch einmal robust streitet. Auf der anderen Seite sei zu oft geduldet worden, wenn Grundsätzliches in Frage gestellt wurde. „Aus Angst vor dem Vorwurf, rassistisch zu sein, darf die Verletzung von Menschenrechten auch dann nicht verschwiegen werden, wenn diese von Migranten ausgeht.“ Da brauche es mehr Entschiedenheit und Klarheit von Seiten der Demokraten.

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