Warum die Babylonier Pythagoras Jahrhunderte voraus waren

Warum die Babylonier Pythagoras Jahrhunderte voraus waren
Im Altertum wurde mit Hilfe einer Tontafel Kanäle und Paläste konstruiert.

Plimpton 322 heißt die 13 mal 9 Zentimeter große Tontafel, die der legendären Archäologe Edgar Banks vor gut hundert Jahren im heutigen Süd-Irak entdeckt hatte. Warum und wofür die Babylonier diese Tafel vor 3700 Jahren erstellt hatten, war lange unklar. Genau das wollen australische Forscher der University of New South Wales jetzt herausgefunden haben, schreiben sie im Journal "Historia Mathematica".

Keilschrift

Doch von Anfang an: Seit die Tafel entdeckt wurde, beschäftigten sich Generationen von Mathematikern mit ihr. Dass es sich bei der in Keilschrift verfassten Tabelle um trigonomische Formeln handeln musste, fand der Innsbrucker Mathematiker Otto Neugebauer bereits 1945 heraus. Er stellte somit klar: Die Griechen waren nicht die ersten, die das Prinzip erkannten, das hinter dem Satz des Pythagoras steht.

Neugebauer wies erstmals darauf hin, dass die Tabelle pythagoreische Triple darstellt. Was ein Triple ist, ist schnell erklärt: Den Satz des Pythagoras (a² + b² = c²) kennt man aus der Schule. Die Formel kann man auch so ausdrücken: Das Quadrat der langen Seite eines rechtwinkligen Dreiecks entspricht der Summe der Quadrate der beiden kurzen Seiten. Beim Triple erfüllen die Gleichung jeweils drei ganze Zahlen. Einfachstes Beispiel ist, wenn man die Ziffern 3 und 4 für die kurzen und 5 für die lange Seite einsetzt.

Kein Dezimalsystem

Was machten die Babylonier jetzt anders? Laut dem Australier Daniel Mansfield haben sie nicht im Dezimal-System gerechnet wie wir, sondern im 60er-System bzw. Sexagesimalsystem. Auch wir rechnen heute noch manchmal damit, nämlich dann, wenn wir auf unsere Uhr schauen. Der Vorteil: 60 hat mehr Teiler. Wer 60 durch drei teilt, erhält eine ganze Zahl und keinen Bruch.

Mehr noch: Ihre Trigonometrie basierte nicht auf Winkel und Kreise, sondern auf Verhältnissen der Dreiecksseiten, ist Mansfield überzeugt. Für die Forscher eine geradezu spektakuläre Entdeckung. Sie glauben auch zu wissen, wofür die Tafeln verwendet wurden: "Man nutzte sie, um Paläste zu planen oder Felder zu vermessen." Frühere Annahmen gingen davon aus, dass Plimpton 322 eine Art Unterrichtsmaterial war.

Rückschlüsse

Die Mathematik-Welt will nicht so ganz in die Euphorie der Australier einstimmen. Michael Jowig von der TU Berlin hält den Ansatz für eine von mehreren plausiblen Erklärungen: "Es ändert die Beurteilung von Plimpton 322 nur im Detail." Er will die Arbeit seiner Kollegen aber nicht schmälern: "Sie geben ein Verfahren an, das Rückschlüsse auf die vierte Spalte der Tabelle gibt."

Schwer zu verstehen, wie die Babylonier gerechnet haben, sei es nicht. Im Gegenteil: "Ich fände es sogar extrem sinnvoll, wenn man in der Schule sich damit beschäftigen würde. Es ist ja das Wesen der Mathematik, einen Sachverhalt auf verschiedene Weisen zu fassen. Wer Flächeninhalte so berechnet und nicht nur Formeln in den Taschenrechner eingibt, hat sicher mehr verstanden", sagt Jowig gegenüber dem KURIER.

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