Placebos: Zwischen Schein und Wirkung

Placebos: Zwischen Schein und Wirkung
Die deutsche Ärztekammer empfiehlt, mehr Scheinmedikamente einzusetzen. Das wirft viele ethische Fragen auf.

Es klingt kurios: Ärzte verschreiben ihren Patienten Arzneien, mit denen sie „gute Erfahrungen gemacht“ haben. Der Inhalt: Milchzucker oder ähnliche Substanzen. Placebos also, ganz ohne Wirkstoffe. Genau das empfiehlt die Bundesärztekammer, oberste deutsche Standesvertretung: Scheinmedikamente sollen stärker als bisher in Therapien genutzt werden. Die Vorteile würden überwiegen: „Mit dem Einsatz von Placebos lassen sich erwünschte Arzneimittelwirkungen maximieren, unerwünschte Wirkungen verringern und Kosten im Gesundheitswesen sparen.“

Ein ärztlicher Betrug? Nicht unbedingt. In wissenschaftlichen Studien werden Placebos zwar als Schein­medikamente eingesetzt, um die Wirkung neuer Arzneien zu bewerten. Zahlreiche – große und seriöse – Studien belegten aber ebenso, dass sich sehr wohl positive Effekte nach der Gabe von Placebos einstellten. „Placebos sind keine Nicht-Behandlung, sondern hoch wirksam“, betont Otto Pjeta von der österreichischen Ärztekammer.

Vertrauensverhältnis

Hierzulande sei jedoch nicht mit ähnlichen Empfehlungen wie in Deutschland zu rechnen. „Unsere Position ist: Der Zweck heiligt nicht die Mittel. Das Vertrauensverhältnis Arzt – Patient steht da weit darüber.“ Er spricht damit das ethische Problem eines Placebo-Einsatzes im Praxisalltag an: „Einem Patienten etwas ohne Wirkstoff und auch ohne Aufklärung zu geben, wäre Vorspiegelung falscher Tatsachen.“ Ähnlich formuliert es Univ.-Prof. Michael Freiss­muth, Leiter des Zentrums für Pharmakologie und Physiologie an der Uni Wien. „Der Arzt ist für die Wirksamkeit eines Placebos der wichtigste Faktor.“ Warum? „Wenn ich einem Patienten Wirkung, aber auch mögliche Nebenwirkungen genau erkläre, wird er diese Nebenwirkungen wohl durchaus spüren. Aber sie auch leichter ertragen.“ Pjeta ergänzt: „Reine Placebos sollten nur in Ausnahmefällen eingesetzt werden.“ Wesentlich häufiger sei der Einsatz sogenannter Pseudo-Placebos. „Manche Patienten spüren Nebenwirkungen sehr intensiv.

Studien haben gezeigt, dass mit einer leichten Unterdosierung eine vergleichbare Wirkung bei weniger subjektiv empfundenen Nebenwirkungen erreichbar ist.“ So bleibe auch das Vertrauensverhältnis aufrecht. „Der Patient weiß, was ich gemacht habe und ist eingebunden in die Entscheidung. Wenn ich auf der üblichen Dosis beharre, verliert er überdies leichter das Vertrauen in mich.“ Auch die Frage der Finanzierung stellt sich. „Wer bezahlt ein Arzneimittel, das ein Arzt im Wissen um seine Nicht-Wirkung verschreibt?“, fragt Freissmuth. Placebos haben für ihn auch viel mit Erwartungshaltungen zu tun. „Es ist im Grunde unmöglich, eine ärztliche Therapie ohne Placeboeffekt zu machen.“ Für Pjeta verwenden am häufigsten Eltern kleiner Kinder Placebos. „Ihre Medikamente sind Zuwendung, Berührung und Trösten.“

Info: Positive und negative Wirkungen

Placebo Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und heißt „Ich möchte gefallen“. In der Medizin bezeichnet man damit Arzneien die keinen Wirkstoff enthalten. Scheininterventionen (Operation, Akupunktur etc.) fallen aber ebenso darunter. Durch eine positive Erwartungshaltung werden Schaltkreise im Gehirn aktiviert.

Nocebo Der Begriff kommt ebenso aus dem Lateinischen, meint jedoch „Ich werde schaden“. Es wurde 1961 erstmals beschrieben. Beim Nocebo-Effekt erwartet der Patient ein negatives Ereignis oder befürchtet das Schlimmste. Typisches Beispiel: Angst vor Nebenwirkungen.

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