Pflegern fehlt oft die rechtliche Basis

Reinhold Zouhar - hier mit seiner Sachwalterin - lebt in einer betreuten Wohngemeinschaft.
Kleine Wohngemeinschaften bieten individuelle Betreuung, doch vieles liegt im rechtlichen Graubereich.

Reinhold Zouhar, 39, ist ein ausnehmend freundlicher Mensch. "Die einzigen Falten in seinem Gesicht sind Lachfalten", sagt eine seiner Betreuerinnen. Zouhar ist einer von 140 Menschen mit schweren Mehrfachbehinderungen, die in den 14 Wohngemeinschaften des Hauses der Barmherzigkeit in Wien und Niederösterreich wohnen.

Pflegern fehlt oft die rechtliche Basis
Herr Zouhar, Haus der Barmherzigkeit, HABIT
Neun Mitbewohner hat Reinhold Zouhar in seiner WG – untertags sind die meisten in Zentren mit verschiedenen Arbeitsmöglichkeiten, gegen 16 Uhr kommen sie in die WG zurück. Pflegefachkräfte und (Sozial-)Pädagogen organisieren mit ihren Klienten den Alltag – Einkaufen, Kochen, Kino, Ausflüge, ein Besuch im Bad – und, ein Höhepunkt für Zouhar, sogar den Besuch eines Rapid-Matches.

Vieles nicht machbar

"Würden wir das derzeitige Gesundheits- und Krankenpflegegesetz 1:1 umsetzen, dürften wir viele dieser Aktivitäten gar nicht durchführen", sagt Gabriele Hetzmannseder, Geschäftsführerin vom "Haus der Barmherzigkeit Integrationsteam" (HABIT), das die Wohngemeinschaften betreut. Denn streng genommen müsste immer ein diplomierter Krankenpfleger anwesend sein.

Der Transfer vom Bett in den Rollstuhl, die Gabe von ärztlich verordneten Medikamenten oder das Verabreichen von Nahrung oder Flüssigkeit über eine Sonde – "das dürften alles nur Pflegefachkräfte machen, obwohl natürlich auch die Pädagogen darin von unseren Pflegekräften sehr gut geschult sind". Reinhold Zouhar etwa kann über den Mund essen – aber manchmal ist es ihm zu anstrengend und er gibt zu verstehen, dass er gerne eine Sondennahrung bekommen würde. "Das entscheidet er alleine." Menschen mit Behinderung haben das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben in Würde, auf einen angemessenen Lebensstandard und auf aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben: Das sind Grundprinzipien für die Arbeit in den WGs. „Besonders wichtig sind uns respektvoller Umgang und wertschätzende Begegnung“, so Geschäftsführerin Hetzmannseder.

Vorgaben

"Wäre in jeder Wohngemeinschaft rund um die Uhr zum Beispiel eine diplomierte Krankenschwester anwesend, würde das auch die Betreuungskosten deutlich erhöhen", sagt Pflegeleiterin Helga Haselmayer. Eine derartige gesetzliche Vorgabe sei nur in größeren Heimen zu erfüllen, nicht in kleinen WGs: "Natürlich muss es eine Qualitätssicherung geben, müssen auch die Pädagogen pflegerische Grundkenntnisse besitzen. Deshalb sollte es in der geplanten Gesetzesnovelle erlaubt werden, dass in überschaubaren Strukturen wie unseren Wohngemeinschaften in Einzelfällen auch pädagogisches Personal gewisse, sonst der Pflege vorbehaltene Aufgaben übernehmen darf." Andernfalls müsste man sie auflösen – "und alle Klienten in Pflegeheimen aufnehmen".

"In multiprofessionellen Teams, wo verschiedene soziale Berufsgruppen zusammenarbeiten, lernt einer vom anderen", sagen Hetzmannseder und Haselmayer. "Die Betreuung ist viel individueller als in einem Heim. Unser Auftrag ist es, die Menschen zu begleiten, ihre Wünsche und Ziele herauszufinden und sie bei der Umsetzung zu unterstützen. Es geht um Selbst- und um Mitbestimmung." Und: "Nicht wir sagen, was gut ist für unsere WG-Bewohner – wir verkindlichen sie nicht. Im Vordergrund steht die Lebensbegleitung im Wohnen und Arbeiten. Therapie und Pflege sind nur ein Teil davon." Integration, Selbstbestimmung und individuelle Lebensqualität sind die wichtigsten Ziele. Pflegeleiterin Haselmayer: „Die Achtung gegenüber den Klientinnen und das Ermöglichen von Eigenkompetenz stehen im Zentrum der ganzheitlichen Begleitung.“

Forderung

Organisationen im Behindertenbereich wie das Haus der Barmherzigkeit fordern, dass das neue Gesundheits- und Krankenpflegegesetz für Wohngemeinschaften eine rechtliche Basis schafft: "Es kann nicht sein, dass engagierte, multiprofessionelle Teams, wie sie bei uns im Einsatz sind, weiterhin in einem rechtlichen Graubereich agieren müssen."

Nähere Informationen über das Konzept der Wohngemeinschaften: www.hausderbarmherzigkeit.at

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