Hilfe in einer Extremsituation
Der Oscar-nominierte Kinofilm „Liebe“ (Amour) von Michael Haneke thematisiert ein Tabu: Überforderung in der Betreuung eines unheilbar Kranken. Im Film kümmert sich George um seine Frau Anne, die nach einem Schlaganfall im Rollstuhl sitzt. Hilfe lehnt er ab. Er hat Anne versprochen, sie bis zuletzt daheim zu pflegen. Am Schluss erstickt er seine Frau.
Diese filmische Aufarbeitung berührte nicht nur die Oscar-Jury. Prim. Michael Preitschopf vom Wiener Krankenhaus „Göttlicher Heiland“ ging aus beruflichem Interesse ins Kino. Er leitet die Palliativstation St. Raphael, die 1992 als erstes Hospiz Österreichs gegründet wurde. „Es wäre sicher möglich gewesen, diesen Menschen in ihrer Extremsituation Hilfestellung zu geben und sie nicht alleine zu lassen.“ George und Anne sind zwar fiktive Filmfiguren, aber kein Einzelfall, betont er. „Unsere Ich-Gesellschaft hat verlernt, Hilfe anzunehmen. Man muss sie zulassen und einsehen, dass man in so einer Extremsituation nicht alles selbst bewältigen kann.“
Palliativmedizin heißt, bereits austherapierten Patienten ein lebenswertes Leben zu ermöglichen. Nicht als Ende. Sondern als Zwischenstation. „Wir betreuen körperlich, psychisch, spirituell und sozial. Unser Ziel ist es, unseren Patienten trotz ihres Krankheitsstatus ein autonomes Leben zu ermöglichen.“ Das könne etwa sein, einige Wochen zu Hause verbringen zu können. Freilich steht Schmerzlinderung an oberster Stelle: „Wir versuchen, die Symptome so zu lindern, dass sie den Patienten nicht zur Gänze beherrschen.“
Palliativstationen und Hospize unterscheiden sich vom normalen Spitalsalltag. Ob Therapie, Ernährung, Tagesablauf: „Die Patienten bleiben die Letztentscheidenden“, betont Stationsleiter Matthias Strebl. „Auch unsere Erfolgserlebnisse definieren sich anders. Es ist schön mitzuerleben, wenn ein Schmerzgeplagter zufrieden ein Gespräch führen kann.“ Unterstützt wird das eingespielte Pflegeteam von ehrenamtlichen Mitarbeitern, die eine spezielle Ausbildung absolvieren müssen. Christa Michlits, pensionierte Psychologin, kommt seit fünf Jahren wöchentlich auf die Station. „Ich wollte etwas mit Menschen machen. Und es ist so erhebend, was zurückkommt.“
Diese Erfahrungen kennt man auch im städtischen Wilhelminenspital. Hier wurde 2012 die jüngste Palliativstation eröffnet – das Team wirkte bei der Gestaltung mit.
Atmosphäre
„Das Umfeld hat viel Einfluss. Wenn auch das Gebäude Atmosphäre, Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, wirkt das positiv auf Patienten und Team“, sagen Prim. Heinz Ludwig und Stationsärztin Karin Brenner. Das spürt Patientin Gertrude G.: „Ich wurde noch nie so gut versorgt und hab gar keine Spitalsstimmung.“ Seit 2005 leidet sie an Eierstockkrebs. Ihr geht es mal besser, mal schlechter. Jetzt sollen ihre Medikamente wieder neu eingestellt werden. Daneben widmet sich die klinische Psychologin Andrea Adrian den Gefühlen ihrer Patienten – Angst oder Hoffnungslosigkeit. „Wir versuchen, gemeinsam zu erarbeiten, was die Lebensqualität jetzt noch steigern könnte.“
Tumorpatienten machen zwar einen Großteil der Palliativstationen aus. Hochbetagte mit Systemerkrankungen nehmen allerdings zu. Leopold Houf, 91, ist alleinstehend, durfte nach einem komplizierten Bruch aber nicht aufstehen. Rund sechs Wochen verbringt er im Wilhelminenspital. Alter und Verletzung hindern ihn nicht an Tatendrang. Er bringt das Motto des Palliativ-Teams auf den Punkt: „Die bringen mich schon wieder auf die Beine.“
Unterschiede
Palliativstation Das Wort geht auf das lateinische Wort „palliare“ für „ummanteln“ zurück. Palliativstationen sind meist in Akutspitälern untergebracht, hier werden unheilbar Kranke – die aber noch viele Jahre vor sich haben können –vorübergehend betreut. Ziel ist, die Lebensqualität zu verbessern. Dennoch versterben auch auf Palliativstationen Patienten.
Hier können palliativmedizinisch betreute Schwerstkranke bis zum Tod bleiben. Die Stationen sind meist im Pflegebereich angesiedelt.
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