Nobelpreisträger Evans: "Erst die Enkel werden profitieren"

Nobelpreisträger Evans: "Erst die Enkel werden profitieren"
Ein breiter Einsatz von Stammzellen zur Reparatur kranker Organe wird erst in zirka 50 Jahren realistisch sein, sagt der britische Genetiker im KURIER-Interview.

Kranke Zellen durch gesunde ersetzen: Das ist die Hoffnung vieler Wissenschaftler, die aus Stammzellen (Vorläuferzellen) neues Gewebe züchten wollen – dies wurde heuer auch mit dem Medizin-Nobelpreis geehrt. "Alles, was wir heute tun, ist vergleichbar mit dem ersten Automobil von Carl Benz. Wir sind erst am Anfang", sagt der britische Genetiker Martin J. Evans, einer der Medizin-Nobelpreisträger von 2007. Er ist anlässlich des 7. Wiener NobelpreisträgerInnen-Seminars in Wien. Neben einem Vortrag an der MedUni Wien besuchte er Donnerstag auch das von Univ.-Prof. Markus Hengstschläger geleitete Institut für Medizinische Genetik der MedUni.

KURIER: Sie werden auch "Großvater der embryonalen Stammzellen" genannt – Sie haben sie als Erster in Mäusen entdeckt. Wie hat das die Medizin verändert?
Martin J. Evans:
Damit ist uns ein großer Schritt im Verständnis der Entstehung von Krankheiten gelungen. Mit der Entdeckung der Embryo-Stammzellen war es möglich, Knock-out-Mäuse zu züchten: Wir können gezielt z. B. ein Gen ausschalten ("knock-out", Anm.) und sehen, wie sich das auf die Entwicklung einer Krankheit auswirkt. Trotz der Entschlüsselung des menschlichen Genoms sind wir immer noch sehr unwissend, was die Funktion einzelner Gene betrifft. Wir können im Labor diese Zellen zu allen Typen von Körperzellen weiterkultivieren – und vielleicht einmal als Quelle zur Reparatur von Organen einsetzen, etwa nach einem Herzinfarkt, um Gewebe zu erneuern.

Embryo-Stammzellen sind umstritten, weil bei ihrer Gewinnung der Embryo stirbt.
Ja, und es gibt noch viele andere Probleme: Es kann z. B. zu Abstoßungsreaktionen kommen, da es sich um ein Transplantat handelt. Aber weil die Grundidee gut ist, sucht man nach neuen Wegen. Eine wurde heuer ausgezeichnet: Shinya Yamanaka zeigte, dass mit einer relativ einfachen Methode Hautzellen in Stammzellen verwandelt werden können, die fast dieselben Eigenschaften wie embryonale Stammzellen haben.
Markus Hengstschläger: Das Problem bei beiden Methoden ist: Zur strengen Definition von Pluripotenz – also der Fähigkeit dieser Zellen, sich in alle andere Zelltypen zu entwickeln – gehört auch, dass sie zu Tumorzellen werden können. Unsere Gruppe an der MedUni Wien hat 2003 erstmals nachgewiesen, dass auch im Fruchtwasser Stammzellen vorkommen. Vor Kurzem konnten wir zeigen, dass sich diese Stammzellen auch in alle drei Keimblätter (von ihnen leiten sich alle Strukturen des Körpers ab, Anm.) weiterentwickeln lassen – aber ohne das Risiko, dass ein Tumor entsteht. In der Öffentlichkeit wird oft geglaubt, man spricht bei Stammzellen von einer Zelle und einer Methode. Es wird aber viele Methoden geben. Ein ganz neuer Ansatz ist: Warum Körperzellen in – sagen wir – zehn Schritten zur Stammzelle zurückzuprogrammieren, wie das Yamanaka getan hat. Vielleicht reicht auch der halbe Weg – und ich vermeide damit das Krebsrisiko.

Nobelpreisträger Evans: "Erst die Enkel werden profitieren"

Wie lange wird es dauern, bis Krankheiten mit aus Stammzellen gewonnenem Gewebe behandelt werden?
Evans:
Ich bin 71, und ich werde nicht mehr davon profitieren. Wahrscheinlich auch nicht die Generation meiner Kinder – es wird Studien in kleinem Rahmen geben, aber keine breite therapeutische Anwendung. In London werden bereits in einer solchen Studie erste Patienten mit einer schweren Augenerkrankung mit Zellen behandelt, die aus embryonalen Stammzellen gewonnen werden. Aber erst wenn die Generation meiner Enkelkinder älter wird, werden sie höchstwahrscheinlich davon profitieren – ich rechne noch mit einer Entwicklungszeit von 50 Jahren.

Zur Person: Der Sir unter den Zellforschern

Sir Martin John Evans ist einer der drei Nobelpreisträger für Medizin des Jahres 2007. Der Brite erhielt ihn für die Identifizierung und Isolierung von embryonalen Stammzellen (aus denen sich alle Gewebetypen des Körpers entwickeln) in Mäusen. Diese Entdeckung war die Grundlage für die Erzeugung von Knockout-Mäusen (engl. knock-out – außer Gefecht setzen).

Mittels einer genetischen Manipulation an den embryonalen Stammzellen werden gezielt eines oder mehrere Gene deaktiviert. An diesen genetisch modifizierten Mäusen kann die Rolle einzelner Gene bei der Entstehung von Krankheiten untersucht werden.

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