Neues von der ISS: Weltraum-Experimente gegen Muskelschwund

Neues von der ISS: Weltraum-Experimente gegen Muskelschwund
300 Experimente sind im fliegenden High-Tech-Labor geplant. Eines davon: Astronauten gehen dem Muskelschwund auf den Grund

Das Motto von Alexander Gersts (Bild unten) neuer Mission „horizons“ klingt ja schon mal gut: Aus „Science Fiction“ „Science Facts“ machen. Seit der deutsche Vorzeige-Astronaut Anfang Juni zum zweiten Mal zur internationalen All-Wohngemeinschaft in 400 Kilometer Höhe aufgebrochen ist, arbeitete er genau daran:

Neues von der ISS: Weltraum-Experimente gegen Muskelschwund

„Er ist hochqualifizierter Laborant, Handwerker und manchmal auch selbst Versuchskaninchen für die Wissenschaft“, sagte Volker Schmid vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt ( DLR).

Und der muss es wissen, hat das DLR doch 41 der 300 Experimente beigesteuert, die in den nächsten Monaten auf Gersts Agenda stehen.

Muskel messen

Neues von der ISS: Weltraum-Experimente gegen Muskelschwund

Wer meint, die Astronauten auf der ISS würden hauptsächlich auf die nahe Erde starren oder im Fernsehen die Fußball-WM verfolgen, irrt nämlich gewaltig. Die Internationale Space Station (ISS) ist ein High-Tech-Forschungslabor. So wurde etwa für das Projekt „Myotones“ ein smartphone-großes Gerät (Bild oben) entwickelt, das Gerst bereits zu spüren bekommen hat. Mitte Juni setzte es die US-Astronautin, Bordärztin Serena Auñón-Chancellor, auf Gersts Arme und Beine, um seine Muskeln und Knochen damit zu vermessen.

Das Gerät sendet einen kleinen mechanischen Impuls auf die Haut und misst, wie der darunterliegende Muskel darauf reagiert. „,Myotones’ untersucht biomechanische Eigenschaften der Skelettmuskulatur – Steifigkeit, Elastizität und Tonus, also Muskelspannkraft“, erklärt Dieter Blottner von der Charité Berlin, der das ISS-Experiment leitet, im Gespräch mit dem KURIER. Über Ergebnisse darf Blottner noch nichts sagen, einiges habe ihn aber überrascht. Nur so viel: „Die Messmethode funktioniert in Langzeit-Schwerelosigkeit, das war zuvor nicht ganz so klar.“

Hintergrund der Studie

Ob der Mensch dafür geschaffen ist, in einer Welt ohne Schwerkraft zu leben, steht noch in den Sternen. Wie alle Astronauten auf der ISS muss Gerst, um dem Schwund im All entgegenzuwirken, täglich mindestens eineinhalb Stunden trainieren. Allerdings könne man Sport nicht so wie auf der Erde betreiben. „Die Belastung wäre viel zu groß“, sagt Blottner. Wie effektiv das Training ist, und wie dadurch die biomechanischen Eigenschaften der Muskulatur beeinflusst werden, sind ungeklärte Fragen, die der Sensor beantworten soll. „Wir wissen noch nicht genau, was den Muskelschwund da oben auslöst. Es gibt noch ganz viel Forschungsbedarf.“

Ein weiteres medizinisches Experiment, „MetabolicSpace“, überwacht Gersts Körper- und Stoffwechselfunktionen. Sensoren messen die Konzentration der ein- und ausgeatmeten Gase sowie die Atmungsfrequenz und registrieren zudem Herzschlag und Körpertemperatur. Apropos Temperatur: Gerst trägt an Bord der ISS Funktionskleidung (Spacetex-2), die einen besonders guten Wärmeaustausch gewährleistet. Denn in der Schwerelosigkeit kommt es beim täglichen Training schnell zu einem Hitzestau, die Körpertemperatur kann auf gut 39 Grad steigen.

Fazit

So ein Langzeit-All-Aufenthalt ist eine gewaltige gesundheitliche Belastung. Der Abbau des Knochens und der Muskeln, die Störung des Immunsystems, womöglich auch schnelleres Altern; sogar die Aktivität von Hunderten Genen wird in Schwerelosigkeit innerhalb von Minuten verändert. Es handelt sich um Gene, die an der Steuerung der Zellteilung, des Protein-Abbaus und der Signalverarbeitung beteiligt sind.
Das Immunsystem aber gehört zu den im All am stärksten beeinträchtigten Systemen. Seit den Apollo-Missionen in den 1970 er-Jahren ist bekannt, dass Astronauten unter einer Schwäche des Immunsystems und Infektionskrankheiten leiden: Atemwegserkrankungen, Harnwegsinfektionen, Hautpilze treten vermehrt auf. Die Ursachen liegen  im Dunkeln. Die  Immunsystem-Probleme begrenzen unsere Leistungsfähigkeit in Schwerelosigkeit, vielleicht auch die Präsenz des Menschen außerhalb des erdnahen Weltraums.

Steinzeit

„Technologisch sind wir im Zeitalter der Raumfahrt, die biomedizinische Weltraumforschung steckt aber in der Steinzeit“, resümiert daher der deutsche Weltraummediziner Oliver Ullrich. Möglicherweise ist unser zellulärer Bauplan so ideal an die Erde angepasst, dass das ein Leben außerhalb der Schwerkraft der Erde auf Dauer unmöglich macht.

So gesehen, ist das Forschungslabor auf der ISS notwendig. Als Nebenprodukt liefert es sogar Erkenntnisse für die Erde: Mit dem Muskel-Experiment „Myotones“ etwa können Rehabilitations- und Trainingsprogramme verbessert werden. Schließlich sind Erkrankungen der Muskeln, der Knochen oder des Bindegewebes ein häufiger Grund für Arbeitsunfähigkeiten – in der Schwerkraft.

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