Kindern und Jugendlichen werden mehr Antidepressiva verschrieben

Rund sechs Prozent der Jugendlichen leiden an behandlungsbedürftigen Depressionen.
Offizielle Zahlen zeigen einen Anstieg bei den unter 19-Jährigen. Jetzt gibt es Diskussion über die Ursachen und fehlende Therapieplätze.

Werden Kindern und Jugendlichen in Österreich zu viele Psychopharmaka verschrieben? Oder führt die Entstigmatisierung der Psychiatrie dazu, dass mehr Behandlungen durchgeführt werden?

Das " Team Stronach" spricht von einer "alarmierenden Entwicklung": "Die Verordnungen von Antidepressiva für Kinder und Jugendliche steigen deutlich." Waren es 2012 noch 44.730 Verordnungen, so lag die Zahl im Jahr 2015 bei 54.030. Dies geht aus der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Team-Stronach-Gesundheitssprecherin Ulla Weigerstorfer durch Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser und den Hauptverband hervor. "Medikamente sollten immer nur der letzte Ausweg sein", so ein Sprecher des "Team Stronach". "Man muss bei den Lebensumständen ansetzen, anstatt Pulverln zu verschreiben." Hier sei auch "generelle Ursachenforschung" notwendig: "Warum ist ein Kind depressiv?"

"Sehr vorsichtig"

Bei der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie heißt es, die Kinder- und Jugendpsychiater würden im europäischen Vergleich Psychopharmaka nur sehr vorsichtig einsetzen. Die Verordnung sei in den vergangenen Jahren von einem "sehr niedrigen auf ein niedriges Niveau" angestiegen. In Frankreich und inÖsterreich würden europaweit Kindern und Jugendlichen die wenigsten Psychopharmaka verschrieben. Es müssten zuerst alle anderen Möglichkeiten – etwa kinder- und jugendpsychiatrische Beratung, Rücksprachen in der Schule, Psychotherapie, etc. – ausgeschöpft werden. "Erst wenn diese Maßnahmen keinen Erfolg zeitigen, kann es notwendig sein, eine medikamentöse Behandlung zu beginnen." Und: Es sei meist nicht ausreichend, nur das Kind zu behandeln. Es müssten auch "therapeutische Interventionen" in der Familie und im sozialen Umfeld gesetzt werden. "Das Angebot an Therapieplätzen für Kinder reicht ganz sicher nicht aus", sagt Kinderarzt Klaus Vavrik: "Nach wie vor fehlen rund 80.000 Therapieplätze, Psychotherapie ebenso wie Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie."

Kein klarer Vorteil?

Die Gesundheitssprecherin der Grünen, Eva Mückstein, schrieb bereits im Juni in einer Aussendung, dass "auch hierzulande der Griff zu Psychopharmaka bei psychischen Erkrankungen von Kindern zu oft erste Wahl ist und nicht die Psychotherapie". Anlass war eine Untersuchung der Oxford University. Demnach scheine "die Balance zwischen Risiken und Vorteilen der Antidepressiva in der Behandlung von schweren Depressionen bei Kindern und Teenagern keinen klaren Vorteil zu bieten".

In der Kinderpsychiater-Gesellschaft weist man das zurück: "In bestimmten Fällen ist es wichtig, bei Kindern und Jugendlichen eine Depression auch mit Medikamenten zu behandeln – wobei dies durch Kinder und Jugendpsychiater durchgeführt werden sollte." Aus der Anfragebeantwortung an das Team Stronach geht allerdings hervor, dass die Mehrheit aller Verschreibungen von Psychopharmaka an Kinder- und Jugendliche nach wie vor durch Allgemeinmediziner durchgeführt wird. Drei Prozent der Kinder und sechs Prozent der Jugendlichen leiden an behandlungsbedürftigen Depressionen.

Vavrik: "Bei der Versorgung mit Kinderpsychiatern gibt es regional Verbesserungen, etwa in Wien und NÖ. Aber es fehlt eine unabhängige Versorgungsforschung. Diese müsste erheben, welche Angebote in welchen Regionen fehlen – damit könnte viel verbessert werden."

Kommentare