Neue Sicht auf Krebs: "Wie ein Organ"

Antikörper können Krebszellen direkt attackieren (Bild), oder sie können die Blockade des Immunsystems durch die Krebszellen aufheben
Umbrüche in der Onkologie: Antikörper heben Unterdrückung des Immunsystems auf.

"Früher hat man gesagt: ‚Wie können wir das Immunsystem stärken, um die Abwehr gegen den Tumor zu verbessern?‘ Aber das ist nicht mehr das Thema", sagte der Wiener Onkologe Univ.-Prof. Christoph Zielinski – Leiter des Comprehensive Cancer Center Vienna an der MedUni Wien – kürzlich beim von der Pharmafirma Roche organisierten "Roche Health Talk". "Denn eine Stärkung des Immunsystems führt zu gar nichts, wenn wir nicht zuvor die Blockade, die der Tumor auf die Zellen des Immunsystems in seiner Umgebung ausübt, aufheben."

Zuerst müsse die "Tarnkappe", unter der sich Tumoren vor dem Zugriff von Immunzellen schützen, entfernt werden: Möglich machen dies neue Antikörper, mit deren Hilfe die Unterdrückung des Immunsystems durch den Tumor rückgängig gemacht wird.

Neue Sicht auf Krebs: "Wie ein Organ"
KURIER Gespräch zum Thema "Weltklassemedizin in Österreich"mit Moderatorin Martina Salomon (stv. KURIER-Chefredakteurin), Univ.-Prof. Christoph Zielinski (Krebsforscher), Univ.-Prof. Michael Gnant (Krebschirurg) und Univ.-Prof. Markus Hengstschläger (Humangenetiker). Wien am 18.02.2015.
"Die Idee ist: Tumore nicht mehr als eine Ansammlung bösartiger Zellen zu sehen, sondern den Tumor und das ihn umgebende Gewebe als eine Struktur, die einem Organ ähnlich ist", so Zielinski. Zwischen Tumor und seiner Umgebung – Bindegewebszellen, Blugefäßzellen, Zellen des Immunsystems – gebe es einen intensiven Dialog. "Diesen Dialog müssen wir blockieren – und damit wird das Immunsystem wieder gegen den Tumor mobilisiert." Erste Erfolge mit einer solche Immuntherapie gibt es beim schwarzen Hautkrebs: Die Lebenserwartung von Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung konnte durch eine Kombination von zwei Antikörpern deutlich verlängert werden.

Neues Konzept

Zielinski: "Wir haben derzeit einen völligen Wechsel in den Konzepten, wie Onkologie in der Zukunft aussehen könnte. Wir müssen jetzt aber diesen Schatz festhalten und intelligent weiterentwickeln." Dazu bedürfe es in Zukunft einer intensiven und intelligenten Zusammenarbeit zwischen klinischer Forschung und Pharmaindustrie. "Derzeit werden rund 6000 Substanzen gegen Krebserkrankungen entwickelt" – es werde darauf ankommen, gemeinsam jene Patientengruppen herauszufiltern, die von bestimmten Kombinationen einzelner Substanzen am besten profitieren.

Personengruppen herausfiltern

Zielinski: "Bisher haben wir etwa geglaubt, dass dieses Konzept der Immuntherapie beim Dickdarmkrebs nicht funktioniert." Doch jetzt habe eine neue Studie gezeigt: "Es ist doch möglich, eine bestimmte Patientengruppe herauszufiltern, die von einer solchen Therapie etwas hat – es sind jene Patienten, die besonders viele genetische Veränderungen in ihrem Tumor haben." Die Krebsforschung stehe erst am Anfang einer großen Entwicklung, die "wir aber erst grob abschätzen können: Wir denken sehr simpel und glauben, ein System lässt sich so einfach von einem Tumor auf den anderen übersetzen. Aber das geht nicht."

Keine logischen Prinzipien

"Die Mechanismen funktionieren nicht nach logischen, sondern nach biologischen Prinzipien", sagte auch Univ.-Prof. Walter Berger, stv. Leiter des Instituts für Krebsforschung der MedUni Wien. Zielinski: "Eine intelligente Entwicklung ist es nur dann, wenn es gelingt, jene Patientengruppen zu identifizieren, die wirklich profitieren."

Ein vielversprechender neuer Weg sei auch die Entwicklung von Antikörpern, die gleichzeitig zwei Mechanismen einer Tumorzelle (statt nur einem) angreifen und blockieren, so Roche-Forscher Christian Klein.

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