Mutter-Tochter-Beziehung: Es ist kompliziert!

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Im Spannungsfeld zwischen Nähe und Abgrenzung kann ein neuer Blick auf die Mutter heilsam wirken, sagt Eva-Maria Zurhorst.

Zwischen Gefühlen von Geborgenheit und Vernachlässigung, von Überhöhung und Abwertung, von Nähe und Distanz: Die Beziehung zwischen Müttern und Töchtern kann so liebevoll wie ambivalent oder gar problematisch sein. Dabei geht es oft um die Loslösung aus einer speziellen Symbiose: Wie die eigene Mutter werden? Sicher nicht! Bestes Terrain für Konflikte.

Dabei sind Mütter meist das erste weibliche Rollenmodell für Frauen. Damit verknüpfte Erfahrungen prägen ein Leben lang, das beginnt bereits vor der Geburt. Gleichzeitig sind die Ansprüche an eine Mutter seitens ihrer Tochter mitunter sehr hoch – sie soll lieben und loslassen, alles verstehen, nichts hinterfragen. Und idealerweise immer da sein.

Damit diese spezielle Beziehung gelingen kann, ist es wichtig, sich von vielen tradierten Vorstellungen zu lösen. Aber auch, die Geschichte der eigenen Mütter und Großmütter zu erforschen, sagt Eva-Maria Zurhorst, deutsche Bestseller-Autorin, Podcasterin und Coach, die jedes Jahr Tausende Frauen durch ihren persönlichen Entwicklungs- und Transformationsprozess begleitet. Reibung gehört hier dazu – und Mut zum Konflikt.

KURIER: Die Nähe von Müttern und Töchtern ist oft intensiv, aber nicht zwingend innig. Eine Beziehung, die störanfällig ist. Warum ?

Eva-Maria Zurhorst: Einerseits ist von beiden Liebe da, gleichzeitig kann eine Mutter niemals dieses vollkommene und liebende Wesen sein, das sich die Tochter im Grunde ihres Herzens wünscht. Daher ist sie auch nicht das perfekte weibliche Vorbild. Mit anderen Worten: Jede Mutter ist ein bisschen wie ein Schweizer Käse.

Interessantes Bild – aber was heißt das?

Sie hat Löcher – ihr fehlt selbst die Liebe aus ihrer eigenen persönlichen Geschichte heraus, die sie ihrer Tochter gerne geben möchte. So viele Mütter wollen, dass die Tochter endlich als jene Frau leben kann, als die sie selbst vielleicht gerne gelebt hätten. Das kann nie funktionieren. Die Tochter, die mit ihrer Mutter mal „eins“ war, muss irgendwann lernen, eine eigene Frau, ein eigenes weibliches Wesen zu werden.

Das ist aber den wenigsten bewusst?

Richtig, weder der Mutter noch der Tochter. Trotzdem möchte das Kind Liebe und die Mutter versucht, diese Liebe zu geben. Mit dieser Liebe kommen aber auch die Löcher mit rüber. Das ist zwischen Müttern und Töchtern deshalb so schwierig, weil sie gleichen Geschlechts sind. Da gibt es immer eine Idee von: „Ich bin so wie du“ – bei beiden. Das ist eine Verirrung, weil sie unterschiedliche Wesen sind. Und so fühlen sich Töchter oft, als wären sie die Gefangene ihrer Mutter und versuchen deshalb, radikal ihren eigenen Weg zu gehen.

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Eva-Maria Zurhorst, Beziehungscoach

Die Ablösung als Protest…

Ja, weil sie der Mutter klar machen muss, dass das, was diese ist und will, nicht das ist, was ihr guttut. Das kann oft nur im Protest geschehen. Was nicht einfach ist, weil es für das Kind in uns keine größere Angst gibt, als die Liebe der Mutter zu verlieren. Sie war einst überlebenswichtig. In jedem von uns gibt es dieses innere Kind.

Was unterscheidet Mutter-Tochter-Beziehungen von Mutter-Sohn-Beziehungen?

Erstens: Der Sohn ist keine Frau. Und: Söhne haben ein völlig anderes Problem mit der Mutter, nämlich das Gefühl, „aufgefressen“ zu werden. Es gibt viele Mütter, die sitzen im Unterbewusstsein ihrer Söhne wie ein Krake.

Das klingt etwas unheimlich, wie kann man sich das weniger unheimlich vorstellen?

Die Söhne erleben sie als Person, die sie liebt, aber von der sie auch massiv abhängig sind, weil sie diese Frau brauchen. Gleichzeitig wollen sie Mann sein. Damit sie nicht von dem Kraken vereinnahmt werden, verschließen sich Männer oft wie eine Muschel. Das andere große Thema von Söhnen ist, dass sie in vielen Fällen, unterbewusst natürlich, zum Ersatzpartner der Mutter werden. So betrachtet, ist die Abnabelung der Söhne noch einmal etwas ganz anderes. Die brauchen eine Trennung, Mädchen müssen eine eigene Identität entwickeln.

Mütter haben ebenfalls Mütter, je weiter man in die Generationen zurückblickt, desto schwieriger ...

Ich bin über 60 Jahre alt, wenn ich an meine Mutter zurückdenke, wird klar: Diese Generation hatte keine Ahnung von sich selbst, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Das waren Mütter, die ihre Gefühlswelt nicht kannten, und deren Gefühlswelt meist völlig unterernährt war. Wir können uns oft gar nicht vorstellen, wie die Eltern unserer Eltern mit Gefühlen umgegangen sind. Und da ist das Beste, was wir tun können, mit einem liebevollen Blick auf die eigene Mutter zu schauen, um festzustellen, dass sie nun mal Ähnlichkeiten mit einem Schweizer Käse hat. Mehr ist da nicht, das war alles, was sie geben konnte. Und das ist okay. In dem Moment, wo ich als Tochter in dieses Gefühl komme, löst sich etwas.

Deshalb sollte man die Geschichte der eigenen Mütter und Großmütter kennen…?

Richtig. Ich hatte eine sehr traumatisierte Mutter, was ich aber nicht wusste. Für mich war meine Mutter einfach meine Mutter. Ich hatte keine Ahnung, dass diese Frau eine klaffende Wunde hatte. Heute weiß ich, wie viel Gewalt, Trauma, Not und Hunger sie erfuhr. Deshalb gibt es Mütter, die nicht lieben können.

Und das zu erkennen, ist wichtig – aber warum?

Gerade, wenn die Mutter nicht lieben kann, ist das Defizit so groß, dass wir immer noch mehr klammern, immer noch mehr versuchen, irgendetwas zu tun, damit sie es vielleicht doch noch macht. Da gilt es sich einzugestehen, diese Frau konnte und kann das nicht. Und dass das, was ich für Liebe gehalten habe, ein schwieriges bis gefährliches Konstrukt einer traumatisierten Mutter war. Dann wird klar: Die einzige Mutter, die ich heute, hier und jetzt habe, bin ich selbst. Ich nenne das Nach-Beeltern. In mir selbst die Liebe zu entdecken, führt langsam zu einem echten, emotionalen Fundament.

Und zur Heilung?

Ja. Viele Frauen sind nicht erwachsen, weil die „Mami“ für sie nach wie vor eine Quelle ist. Das ist ungesund. Speziell, wenn da eine Mutter war, die nicht „Mami“ sein konnte. Sich hier zu lösen, führt dazu, erwachsen zu werden, um zu entdecken, worum es im Leben wirklich geht und welche wunderbaren Kräfte in uns stecken. So heilt das Herz, so finden Frauen ihren Selbstwert und eigenen Weg.

Und trotzdem kursiert nach wie vor die Idee und das Bild der perfekten Mutter.

Ich mache seit Jahren Frauentrainings und sehe viele Frauen mit 50, 60, 70, die immer noch auf die perfekte Mutter oder auf die allumfassende Liebe warten. Oder auf die Freigabe der Mutter, dass sie eine eigenständige Frau sein dürfen, mit eigenen Bedürfnissen. Vergeblich! Der wichtigste Aspekt daran ist, zu akzeptieren, dass diese Frau, eine Mutter war, die nicht alles geben konnte und auch nicht musste. Eine gängige Illusion. Keine einzige Frau, die je Mutter wurde, auf diesem Planeten, hätte das leisten können.

Was stattdessen?

Von dem hohen Anspruch an das Muttersein loslassen und mir erlauben: Ich muss nicht perfekt sein. So wichtig, zu akzeptieren, dass eine Mutter eine normale Frau sein darf. Und umgekehrt: Dass die Tochter Dinge tun darf, die die Mutter nicht gut findet und sie vielleicht verletzen, die aber zu ihrem eigenen Weg gehören. Das ist gesunde Abnabelung.

Können Mütter und Töchter Freundinnen sein?

Wenn jede von beiden weiß, wer sie ist, dann ja. Wenn also beide einen emotionalen Entwicklungsprozess durchgemacht haben, und klar ist, wo jede steht oder wo es Ängste gibt, dann kann es eine wunderbare, erwachsene Beziehung werden. Wenn aber beide keine Klarheit über sich selbst haben, sind das oft Abhängigkeitsverhältnisse.

Sie arbeiten mit Ihrer Tochter Annalena (30) zusammen. Geht das immer ohne Reibungen und ganz ohne Konflikte? Konflikt ist nicht ungesund. Und auch Konflikte zwischen Mutter und Tochter sind wichtig, um sich abzunabeln. Meine Tochter hatte immer wieder Phasen, wo sie mir klare Grenzen gesetzt hat. Wo ich nicht mehr Bescheid wissen oder mitreden durfte. Dann hat sie die Tür zugemacht, das war gut so.

Simple und schnelle Praxistipps, wie die Mutter-Tochter-Beziehung verbessert werden kann, gibt es vermutlich keine?

Nein. Es geht immer um die eigene Entwicklung, um Reflexion. Sowohl die Mutter als auch die Tochter sollten an sich arbeiten und sich immer wieder darin üben, sich von unterschiedlichen Orten aus zu begegnen. Es ist das Symbiotische, was so ungesund ist. Die Tochter sollte wissen, dass sie ein anderes Leben leben darf, als ihre Mutter es vielleicht gut finden mag – und umgekehrt. Und am Ende können wir den Kindern kein größeres Geschenk machen, als immer wieder hinzuschauen, um offen und neugierig zu fragen: Wer ist dieser Mensch? Wer bist du?

Buchtipp: "Wenn ich mich nicht liebe, wie soll mich jemand anders lieben?" (Verlag Gräfe und Unzer, 18 €) heißt das Buch, das Eva-Maria Zurhorst gemeinsam mit ihrer Tochter Annalena geschrieben hat. Darin möchten sie jungen Frauen zeigen, wie sie sich selbst wieder wertschätzen können. 

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