Die Liebe in den Zeiten der MS
Es ist kein Einzelfall: „Ein junges Paar ist frisch verliebt, schwebt im siebten Himmel – und dann kommt die Diagnose MS, Multiple Sklerose“, erzählt Ursula Hensel, Geschäftsführerin der Multiple Sklerose Gesellschaft Wien. „Wenn man in dieser frühen Phase einer Beziehung die gemeinsame Zeit hauptsächlich in Spitalsambulanzen verbringt, kann das sehr belastend sein.“
„Gleichzeitig ändert sich das Rollenbild – die erkrankten Partner machen sich oft Vorwürfe, dass sie den anderen mit ihrer Krankheit belasten“, sagt die Sexualmedizinerin Elia Bragagna, fachliche Leiterin der Akademie für Sexuelle Gesundheit und der sexualmedizinischen Enzyklopädie Sexmedpedia. Am Welt-MS-Tag, 29. 5., organisiert sie einen Live-Chat im Internet (siehe unten).
Da bei MS auch jene Zentren im Gehirn und im Rückenmark irritiert werden können, die für die Sexualität verantwortlich sind, kann es hier zu Beeinträchtigungen kommen – etwa durch die Abnahme der Sensibilität: „Viele Patienten, die zu mir kommen, sagen, sie haben das Gefühl, dass sie diese Probleme nicht mit ihren behandelnden Ärzten besprechen können. Dabei wäre genau das sehr wichtig.“
Zeitmangel
„In den Ambulanzen fehlt oft die Zeit und auch die Atmosphäre, die Themen Partnerschaft und Sexualität anzusprechen“, sagt der Neurologe und MS-Spezialist Herbert Kollross-Reisenbauer. „Dabei wissen wir heute, dass eine gute Beziehung den Krankheitsverlauf positiv beeinflusst.“ Je weniger Stress beruflich wie privat, desto besser könne auch die Erkrankung stabilisiert werden.
„Ein Teil der MS-Patienten bekommt Bewegungsstörungen, Krämpfe oder Schmerzen. Das wirkt sich auch auf die Sexualität aus“, sagt Bragagna: „Aber es gibt Möglichkeiten, etwas dagegen zu tun. Dazu ist es notwendig, dass auch die Ärzte dieses Thema ernst nehmen.“
„Wir bieten Patienten und Angehörigen psychosoziale Beratung und auch Psychotherapie an“, sagt Ursula Hensel von der MS-Gesellschaft Wien. „Zu Sexualberatern können wir weitervermitteln. Das alles hilft, die Lebensqualität zu verbessern.“
„Eine deutsche Studie kam zu dem Ergebnis, dass das Vorhandensein von Sexualstörungen nichts über die sexuelle Zufriedenheit und die Beziehung aussagt“, sagt Bragagna: „Entscheidend dafür sind viel mehr die partnerschaftliche Zufriedenheit, die gute partnerschaftliche Kommunikation, Zärtlichkeit und Gemeinsamkeiten.“
Bragagna will Mut machen: „Wer die Probleme anspricht, kann ein deutlich zufriedeneres Leben führen.“ www.msges.at www.sexmedpedia.at
Live-Chat zu MS und Partnerschaft - Experten antworten
Am Welt-MS-Tag, 29. 5.., findet von 19 bis 21 Uhr auf dem Internet-Portal der Sexual-Enzyklopädie www.sexmedpedia.at ein Live-Chat zu den Themen MS und Partnerschaft/Sexualität statt. Live beantworten folgende Spezialisten alle Anfragen:
– Neurologie: Dr. Herbert Kollross-Reisenbauer
– Urologie: Dr. Florian Wimpissinger
–Gynäkologie: Dr. Andrea Kottmel
– Sexualpädagogik: Mag. Wolfgang Kostenwein
– Sexualmedizin: Dr. Elia Bragagna
„Die Sicht auf Multiple Sklerose hat sich geändert“, sagt der Neurologe Herbert Kollross-Reisenbauer: „In einer deutschen Umfrage haben 58 Prozent der jungen Betroffenen gesagt, dass sie sich nicht vor der Krankheit fürchten. Ihre Einstellung ist: Ich beherrsche die Erkrankung – und nicht sie mich.“ Dies hänge wesentlich mit den Therapien, die seit 1995 auf den Markt gekommen sind, zusammen. Einerseits die entzündungshemmende Basistherapie, andererseits ganz neue Substanzen, die direkt in den Krankheitsprozess eingreifen. „Bei einer optimalen Therapie werden dann auch die negativen Begleiterscheinungen wie die Auswirkungen auf die Sexualität automatisch geringer.“
Heuer und 2014 sei mit der Zulassung weiterer Medikamente zu rechnen. „Das Bild von MS-Patienten im Rollstuhl stimmt nicht mehr. Den meisten können wir eine Therapie anbieten, die die Entzündungen deutlich reduziert – bei manchen sogar bis zu 100 Prozent.“
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