Mikrozephalie: Wie eine Ärztin die Verbindung mit Zika aufdeckte
Was Adriana Melo, Gynäkologin und Expertin für fetale Medizin in Campina Grande, - der zweitgrößten Stadt im brasilianischen Bundesstaat Paraiba - sah, wirkte verstörend. Die grau-weißen Bilder des Ultraschalls zeigten, dass das Baby im Bauch der der 34-jährigen Mutter offensichtlich massive Probleme hatte. Das Gehirn hielt nicht Schritt mit dem restlichen Wachstum des Kindes. Die neuronalen Strukturen zeigten höchst ungewöhnliche Veränderungen – das Gehirn war vergrößert, deformiert, alles Anzeichen für sogenannte Mikrozephalie.
Irritierende Kalkablagerungen als Rätsel
Eine Missbildung mit der sich brasilianische Gynäkologen durchschnittlich ein bis zwei Mal pro Jahr konfrontiert sehen. Die dafür häufigsten Gründe: Drogenmissbrauch, Alkoholismus, genetische Ursachen oder eine Infektion mit dem Rötelvirus. Was Melo ebenfalls irritierte – die Kalkablagerungen, die sie bemerkte. So etwas hatte sie in dieser Form und in dieser Kombination noch nie gesehen. Noch dazu war die Frau, deren Schwangerschaft sie von Anfang an begleitet hatte, keine Risikopatientin. Sie trank nicht, sie rauchte nicht, sie nahm keine Drogen – und in der Familie gab es auch keine genetisch bedingten Krankheiten. Melo stand vor einem Rätsel. Im Gespräch hatte sich allerdings herausgestellt, dass sie in der Frühschwangerschaft, ungefähr um die 8. Schwangerschaftswoche herum, einen Ausschlag hatte. Und Gelenkschmerzen. Beides war schnell vergangen, keiner hegte einen Verdacht. Und (noch) niemand vermutete eine Infektion mit dem Zika-Virus.
Der Moment, als die Ärztin stutzig wurde
Gerüchte kamen auf – etwa, dass dieses Phänomen in Zusammenhang mit Impfungen stehen könnte. Daran glaubte Melo nicht – sie begab sich, wie eine Detektivin, auf die Suche nach den Ursachen der fatalen Missbildung. Von Zika hatte sie natürlich schon gehört – ein bisher harmloses Virus, das im Jahr 1947 erstmals in Uganda aufgetaucht war – bei Affen. Erst im Jahr 2007 sorgte es für eine Masseninfektion bei Menschen – auf der kleinen Insel Yap, irgendwo in Mikronesien, zwischen den Philippinen und Papua Neuguinea. 2013 wanderte das Virus Richtung Osten, wo es zu einem weiteren großen Ausbruch kam – in Papua Neuguinea. In Brasilien tauchte es erstmals im Mai 2015 auf. Das Virus ist mild, viele Infizierte zeigen keine Symptome oder aber leichte wie Gelenkschmerzen, etwas Fieber, rote Augen, Ausschlag. Die Patienten erholen sich rasch. Von ersten Zika-Infektionen im Campina Grande hatte Melo im Juli 2015 gehört, doch erst im Kontext vermehrter Gehirnmissbildungen bei Ungeborenen begann sie Verdacht zu schöpfen. Sie begann, sämtliche medizinischen Informationen zu dem Erreger zu sammeln. Dabei lernte sie, dass das Virus imstande ist, das Nervensystem zu infizieren, außerdem entdeckte sie zwei Arbeiten, indem ein Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und Gehirnmissbildungen bei Kühen und Schafen hergestellt wurde, im Rahmen von Versuchen.
Weltweit das erste Mal Zika im Fruchtwasser
Schließlich ging alles sehr schnell: Auf ihre Initiative hin ermöglichte das brasilianische Gesundheitsministerium den Patientinnen einen Flug nach Sao Paolo, um dort den Experten zu treffen. Malinger sah sich die Frauen vor Ort in einem privaten Spital an. Was nicht sein durfte, wurde zur schrecklichen Wahrheit: Ultraschall- und MRI-Bilder zeigten, dass die Gehirnstrukturen der Ungeborenen komplett zerstört waren, ebenso wie die Augen der Babys. Die Kinder hatten keine Chance.
Das war am 14. November 2015. Den Montag darauf bekam Melo die Ergebnisse der Fruchtwasseruntersuchung, das Ergebnis: Das erste Mal, weltweit, wurde in Fruchtwasser das Zika-Virus entdeckt. Damit wurde die ganze Aggressivität des Virus offensichtlich. Und der Verdacht auf einen Zusammenhang mit den Gehirnmissbildungen der Ungeborenen erhärtete sich. Die Gynäkologin Adriana Melo informierte das brasilianische Gesundheitsministerium, eine Woche später veröffentlichte auch das European Centre for Disease, Prevention and Control erstmals ein Statement über einen möglichen Zusammenhang von Zika und Mikrozephalie. Der Rest ist Geschichte und allgemein bekannt.
Am Dienstag hatte ein anderes französisches Forscherteam über einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und schweren Rückenmarksentzündungen berichtet. Das Virus wurde demnach im Rückmark einer 15-Jährigen nachgewiesen, die Mitte Jänner in einer Klinik im französischen Überseegebiet Guadeloupe mit einer halbseitigen Lähmung eingeliefert worden war.
Es gibt überdies deutliche Hinweise, dass Zika das Guillain-Barre-Syndrom, eine schwere Nervenkrankheit, auslöst. Zika soll bei einer Infektion von Schwangeren bei deren ungeborenen Kindern Mikrozephalie, einen abnorm kleinen Kopf und damit zusammenhängende neurologische Schäden auslösen. US-Forscher fanden nach eigenen Angaben inzwischen den ersten Beweis für einen biologischen Zusammenhang.
Das unter anderem von der Ägyptischen Tigermücke übertragene Zika-Virus grassiert derzeit vor allem in Lateinamerika. Besonders betroffen ist Brasilien: Die Zahl der Zika-Infektionen wird dort auf 1,5 Millionen geschätzt.
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