Lebensrettende Spione im Kopf

Lebensrettende Spione im Kopf
Spezielle Sonden erhöhen die Chancen von Patienten nach Hirnverletzungen: Vorgänge im Gehirn werden so sichtbar.

Diagnose Hirnblutung, Aneurysma: Erst führen Neurochirurgen eine Notoperation durch, um das Gefäß zu verschließen. Doch die künftige Lebensqualität des Patienten hängt nicht nur vom Erfolg dieses Eingriffs ab: „Ganz entscheidend ist, was im Anschluss auf der Intensivstation passiert“, erzählt Engelbert Knosp, Vorstand der Univ. Klinik für Neurochirurgie an der MedUni Wien/ AKH Wien. „Viele Operationen sind nur sinnvoll, wenn man eine solche, auf das Hirn spezialisierte Intensivstation in der Hinterhand hat.“ – „Das Hirn ist für uns keine Blackbox mehr. Sonden sind unsere Spione im Kopf“ , erklärt Andreas Gruber, leitender Oberarzt des Bereiches Intensivmedizin der Univ. Klinik für Neurochirurgie. KURIER: Warum ist es so schwer, den Zustand des Gehirns zu diagnostizieren?Andreas Gruber: Wir können beim Hirn nichts ertasten, nichts abhören. Wir haben eine anatomische Barriere – den Schädelknochen – und die Blut-Hirn-Schranke, eine Barriere zwischen den Blutgefäßen und dem Hirn. Dieses holt sich nur die Stoffe, die es haben will. Aber mit den Sonden können wir diese Blackbox knacken. Was messen diese Sonden? Das Schlagwort lautet multimodales Neuromonitoring. Den Hirndruck können wir seit rund 20 Jahren messen. Aber der alleine ist zu wenig. Auf neurochirurgischen Intensivstationen werden auch Sauerstoffgehalt sowie Durchblutung des Gehirn bestimmt und es können die Stoffwechselvorgänge beobachtet werden, die wir normalerweise zwar aus dem Blut, aber nicht aus dem Hirn kennen: Etwa die Entwicklung der Glucose- und Laktat-Werte (Zucker- und Milchsäurewerte, Anm.) Das alles bringt viele Vorteile. Zum Beispiel? Etwa beim Gefäßverschluss durch Embolie: Bis das Hirn anschwillt, dauert es Stunden. Es kann die Schwellung lange Zeit kompensieren, weshalb der Hirndruck am Anfang ziemlich unverändert bleibt. Doch ab einem gewissen Ausmaß steigt der Hirndruck explosionsartig an. Je höher er ist, desto weniger Sauerstoff kann das Hirn aufnehmen. Misst man nur den Druck, bemerkt man die Katastrophe sehr spät. Erst jetzt zu reagieren, kann zu spät sein. Mit einer Stoffwechselsonde sieht man hingegen ab dem Moment des Verschlusses, wie – einem Muskelkater ähnlich – die Glucose absinkt und das Laktat ansteigt. Der Zeitvorsprung beträgt vier bis acht Stunden. In dieser Zeit können wir lebensrettende Behandlungsstrategien einleiten. Das gilt besonders auch für Verkrampfungen der Hirnarterien, die oft fünf bis sieben Tage nach einer Aneurysmablutung auftreten. Verabreichen wir dann zum Beispiel gefäßerweiternde Medikamente, sehen wir mithilfe der Sonden praktisch online, ob und wie lange sie wirken.

Lebensrettende Spione im Kopf

Können die Sonden andere, aufwendige Untersuchungsmethoden ersetzen? In gewisser Weise ja. Jede dieser Sonden kann vor Ort am Intensivbett Informationen liefern, für welche sonst oft ein Großgerät, wie etwa die Magnetresonanztomografie oder die Angiografie, erforderlich gewesen wäre. Dadurch können auch die belastenden Transporte zu diesen Geräten reduziert werden. Natürlich fehlt dann die wertvolle bildgebende Information über das Gehirn, weshalb man auf diese Untersuchungen nicht verzichten kann – die Intervalle zwischen den Transporten können aber länger sein. Wie setzt sich das Team an einer neurochirurgischen Intensivstation zusammen? Im Optimalfall so wie bei uns aus Intensivmedizinern aus den Sonderfächern Neurochirurgie und Anästhesie. Patienten mit schweren Hirnverletzungen haben häufiger Lungen- oder Kreislaufversagen. Der Anästhesist sieht von mir, wie ich z. B. den erhöhten Hirndruck behandle oder die Ergebnisse des multimodalen Neuromonitorings interpretiere, und ich lerne von ihm, wie er z. B. mit einem Lungen- oder Herzkreislaufversagen umgeht. Welche Therapien gibt es? Man kann dem Gehirn gezielt mehr Sauerstoff zuführen und dies direkt im Hirngewebe messen. Zusätzlich lässt sich mit Medikamenten der Energieverbrauch des Gehirns halbieren. Der Stoffwechsel, der für die Hirnfunktion verantwortlich ist, wird quasi vorübergehend abgeschaltet. Durch Abkühlen kann man den Energieverbrauch weiter reduzieren. Die Kombination der Maßnahmen führt dazu, dass die meisten Patienten auch heftige Energiekrisen (eine zu geringe Versorgung des Hirns mit Sauerstoff, Anm.) gut überleben.

Info: Gefährliche Blutungen im Gehirn Ursachen Gehirnblutungen sind die häufigste Diagnose, bei der Univ.-Prof. Dr. Andreas Gruber und sein Team zu Hilfe gerufen werden. Zu spontanen Blutungen kommt es häufig bereits in jüngerem Alter als Folge einer Erweiterung einer Hirnarterie (Aneurysma). Risikofaktoren sind etwa Übergewicht, Rauchen oder ein erhöhter Cholesterinspiegel. Aber auch ein Sturz oder ein Unfall können eine Blutung auslösen. Forschung Die Messung von Hirnfunktionen mit Sonden – "multimodales Neuromonitoring" – soll ein wichtiges  Entwicklungsfeld im Forschungsschwerpunkt Critical Care im neuen Entwicklungsplan der MedUni Wien werden. Erfolge Sekundäre Hirnschäden, die nach der Blutung auftreten, können mithilfe dieser Sonden verhindert bzw. klein gehalten werden.

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