Lebensmittel: Das große Geschäft mit den Allergien

Teure Speziallebensmittel boomen, doch vielfach sind sie gar nicht notwendig.
Allergologe: Profit mit teuren Produkten, "diagnostische Quacksalberei".

"Glutenfrei", "laktosefrei": Lebensmittel mit solchen Aufschriften werden in den Supermärkten immer häufiger. "Es ist ein riesiger Hype, der von manchen Firmen befeuert wird und der die Dimension des Rationalen teilweise bereits verlassen hat." Das sagte Mittwoch der Allergologe und Dermatologe Priv. Doz. Stefan Wöhrl vom Floridsdorfer Allergiezentrum (FAZ) in Wien. "Hier ist ein riesiger Markt entstanden. Die Lebensmittel werden teilweise sehr teuer verkauft – mit Botschaften, die sich so nicht halten lassen. Die Häufigkeit der Symptomatik wird überschätzt." Lebensmittelallergien oder -intoleranzen seien "en vogue".

"Rund 40 Prozent der in den USA verkauften Nahrungsmittel sind mittlerweile glutenfrei – "und das bei einer echten Häufigkeit der Zöliakie von 1:1000." Die Zöliakie sei eine schwere Erkrankung mit Durchfällen, Erbrechen, Gewichtsverlust. "Viele Leute sagen, sie hätten lediglich eine Glutensensitivität – aber die ist ein Mysterium, hier fehlt es an aussagekräftigen Daten." Und rund 13 Prozent der Österreicher glauben, von einer Nahrungsmittelallergie betroffen zu sein: "Tatsächlich ist es aber nur ein Prozent der Erwachsenen."

Lebensmittel: Das große Geschäft mit den Allergien
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"Diäten ausreden"

Allergologen seien mittlerweile "meist damit beschäftigt, den Patienten selbst auferlegte Diäten wieder auszureden", so Wöhrl. "Die Leute glauben, sie tun sich etwas Gutes, wenn sie sich zum Beispiel generell laktosefrei ernähren. Aber für den Großteil der Bevölkerung spielt die Laktose überhaupt keine Rolle." Eine glutenfreie Ernährungsform wiederum könne auch unbedachte Folgen haben: "Gluten hält das Wasser im Mehl, macht das Brot geschmeidig. Es muss durch Fett ersetzt werden – aber dadurch erhöht sich die Kalorienmenge."

"Hochgespielt"

Natürlich müsse man die Beschwerden ernst nehmen: "Und möglicherweise gibt es zum Beispiel im Weizen auch andere Substanzen als Gluten, die Darmprobleme verursachen können. Hier wissen wir aber noch zu wenig." Vielfach werde das Thema hochgespielt. "Und die Patienten sind dann fast beleidigt, wenn wir als Allergologen ihre Diätmaßnahmen nicht unterstützen, obwohl andere ärztliche Kollegen alle ihre Symptome auf eine Allergie geschoben haben."

"Diagnostische Quacksalberei"

Mittlerweile habe diese Entwicklung auch "eine ganze Industrie der diagnostischen Quacksalberei auf den Plan" gerufen, so Wöhrl. Teure, über Internetbestellungen verschickte Bluttests seien ohne gleichzeitige Anamnese und ohne Hauttest auch in der Allergiediagnostik nicht seriös: "Und bei Unverträglichkeiten gibt es überhaupt nur einen sinnvollen Bluttest – einen Gentest zur Bestimmung der Laktoseintoleranz."

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Weiteres Haut-Thema: Die "Melanom-Explosion"

Anlässlich des 125-Jahr-Jubiläums der Österr. Gesellschaft für Dermatologie & Venerologie warnten die Hautärzte am Mittwoch auch vor der "Melanom-Explosion", wie es Univ.-Prof. Hubert Pehamberger, Chef der Hautklinik der MedUni Wien, formulierte: "Die Häufigkeit von Schwarzem Hautkrebs hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, Tendenz weiter steigend." Bis 2010 lebten Patienten mit einem Melanom im Spätstadium im Schnitt nur sechs Monate – mit und ohne Therapie. Dank neuer Medikamente überleben heute viele der Patienten bereits drei Jahre und länger.

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