Offen über das Leben mit Krebs reden

Der Blick aufs Leben steht heute im Mittelpunkt, nicht der auf den Tod.
Onkologe Hellmut Samonigg über den Schock der Diagnose und die Hoffnung in neue Medikamente.

Ein Leben mit Krebs ist heute ein Leben mit Blick aufs Leben – und nicht auf den Tod", sagt der renommierte Onkologe Univ.-Prof. Hellmut Samonigg von der MedUni Graz. Er ist einer der Podiumsteilnehmer beim großen KURIER-Gespräch "Reden über Krebs – Leben mit Krebs" kommenden Montag in Wien (siehe unten).

KURIER: Wie ist die Situation von Krebspatienten heute?

Offen über das Leben mit Krebs reden
BILD zu OTS - http://www.apa-fotoservice.at/galerie/5912 Im Bild: Univ.-Prof. Dr. Hellmut Samonigg (Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie)
Hellmut Samonigg:Wir können heute mehr Menschen denn je heilen – bei denen wir also davon ausgehen können, dass die Erkrankung im Laufe eines Lebens nicht mehr zurückkehren wird. Und dann gibt es eine ebenfalls wachsende Gruppe, die wir zwar nicht heilen können, deren Erkrankung aber in zunehmendem Ausmaß chronisch wird, wo wir also den Tumor mit der Therapie für lange Zeit zurückdrängen können. Allerdings ist das von Krebsart zu Krebsart unterschiedlich. Beim Brust- oder Dickdarmkrebs gelingt uns das sehr gut, es gibt aber auch Erkrankungen – wie den Bauchspeicheldrüsenkrebs –, bei denen es noch sehr schwierig ist, den Verlauf zu bremsen.

Welche Bedeutung haben die neuen Medikamente?

Uns steht eine steigende Zahl von Medikamenten zur Verfügung – etwa spezielle Antikörper –, die Tumore ganz gezielt angreifen. Erste große Erfolge zeigt derzeit die Immuntherapie: Der Tumor besitzt eine Art Tarnkappe, täuscht damit das Immunsystem und bremst dessen Aktivität. Den neuen Immuntherapien gelingt es, dem Tumor die Tarnkappe – vereinfacht gesagt – herunterzureißen, ihn für das Immunsystem sichtbar zu machen und die Bremsen des Immunsystems zu lösen. Erste deutliche Erfolge zeigten sich beim schwarzen Hautkrebs. Durch die Kombination von zwei Medikamenten konnte die durchschnittliche Überlebenszeit deutlich verlängert werden. Erfolge zeigen sich jetzt auch beim Lungenkrebs. In beiden Fällen geht es zwar nicht um Heilung, aber um deutlich längere Lebenszeit und bessere Lebensqualität. Auch unterstützende Therapien – etwa gegen Übelkeit, Blutarmut – verbessern heute die Lebensqualität ganz entscheidend.

Trotzdem bleibt die Diagnose Krebs ein Schock.

Sie wird von den allermeisten als existenzielle Krise erlebt – und in dieser ersten Phase ist das unabhängig davon, ob die Krankheit heilbar ist oder nicht. Praktisch allen zieht es den Boden unter den Füßen weg und vielen geht der Gedanke durch den Kopf, "jetzt muss ich mit einem Leben abschließen" – auch wenn das in den meisten Fällen nicht der Fall ist.

Wie gut diese Krise überwunden wird, hängt sehr davon ab, welche Qualität die Arzt-Patienten-Gespräche zu Beginn haben: Meine Erfahrung ist, dass man mit einer sorgfältigen, empathischen Gesprächsführung den meisten Menschen sehr rasch aus dieser großen Existenzangst heraushelfen kann. Und zwar nicht dadurch, dass man ihnen falsche Hoffnungen macht, sondern dadurch, dass man ehrlich und offen mit ihnen spricht. Bildhaft ausgedrückt: Man muss versuchen, den Menschen einen Mantel hinzureichen, in den sie mit ihrer Diagnose hineinschlüpfen können. Hier hat sich in den vergangenen Jahren viel zum Positiven gewendet, der Stellenwert von einfühlsamer Gesprächsführung und Psychoonkologie ist stark gestiegen.

Das benötigt aber Zeit.

Ganz genau. Wir müssen jetzt massiv darauf achten, dass die Erfolge der vergangenen Jahre – auch die hohe Qualität unserer Therapie – durch das neue Arbeitszeitgesetz nicht gefährdet werden. Sind Ärzte gezwungen, nach einem Nachtdienst in der Früh nach Hause zu gehen, kann auch die so wichtige Kontinuität in der Betreuung immer seltener ermöglicht werden. Viele Patienten kommen jede Woche zur Behandlung in die Ambulanz. Mit dem neuen Gesetz kann nicht mehr gewährleistet werden, dass er zumindest in den meisten Fällen immer denselben Arzt sieht. Das ist schlecht. Und natürlich kann auch das Gespräch leiden. Das jetzige System treibt die Menschen eher in die Hände von Alternativmedizinern, die sehr viel Zeit haben.

Was halten Sie generell von komplementären, ergänzenden Therapien zusätzlich zur reinen Schulmedizin?

Ganz wichtig ist, immer den behandelnden Arzt zu informieren. Denn es gibt komplementäre Präparate, die negative Wechselwirkungen mit den etablierten Medikamenten haben können. Diese ergänzenden Methoden dürfen dem Patienten nicht schaden. Das ist aber zum Beispiel bei bestimmten sogenannten "Krebsdiäten" der Fall, weil sie die Patienten schwächen. Und diese Methoden dürfen auch finanziell keine Belastung sein. Die Alarmglocken sollten läuten, wenn Vertreter komplementärer Verfahren sagen, dass sie von der Wissenschaft nicht gehört werden. Dann sollte man nachdenken, an wen man geraten ist. Was ich auch erst als Arzt lernen musste: Es muss nicht alles, was Betroffenen hilft, auch wirken – dass es also nachweisbare Effekte im Organismus gibt. Wenn es Patienten hilft, dass sie selbst etwas tun können, selbst zusätzlich etwas versuchen können, dann unterstütze ich das – so lange sie keinen Schaden dadurch haben.

Wie sehen Sie die Diskussion um einen "Teilzeitkrankenstand" bzw. um Möglichkeiten, langsam wieder ins Berufsleben einzusteigen?

So etwas sollte man unbedingt schaffen. Krebspatienten sollten – nach ihren körperlichen Möglichkeiten – Schritt für Schritt ins Berufsleben zurückkommen können. Das ist gut für ihr Selbstwertgefühl, ihre psychische Stabilität und oft natürlich auch wichtig für ihre finanziellen Verhältnisse. Nur dieses Schwarz-Weiß-Bild – voll arbeiten oder gar nicht – das halte ich nicht für gut. Es sollte einen Rechtsanspruch auf eine stufenweise Rückkehr in den Arbeitsprozess geben. Viele Patienten würden davon sehr profitieren.

Am KURIER-Gespräch in einer Woche nimmt auch Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser teil. Wie sehen Sie ihren offenen Umgang mit der Krankheit?

Dieser ist sehr bewundernswert und verlangt sehr viel Mut, weil es auch Anfeindungen gibt. Das schafft deshalb auch nicht jeder Patient. Die Offenheit von Gesundheitsministerin Sabine Oberhauser, sowie früher auch von der ehemaligen Nationalratspräsidentin Barbara Prammer und dem Journalisten Kurt Kuch im Umgang mit ihrer Krankheit trugen und tragen viel dazu bei, Tabus aufzubrechen, Bewusstsein zu schaffen und auch etwas zu bewegen – wie etwa im Bereich des Nichtraucherschutzes.

Alle Informationen über die Veranstaltung, den genauen Veranstaltungsort, die Beginnzeit sowie alle Podiumsteilnehmerinnen und Podiumsteilnehmer finden Sie hier.

Zur Person

Univ.-Prof. Hellmut Samonigg ist seit 1994 Leiter der Klinischen Abteilung für Onkologie der Universitätsklinik für Innere Medizin in Graz.

Don’t Smoke

Gemeinsam mit dem (Anfang Jänner dieses Jahres an Lungenkrebs verstorbenen) NEWS-Enthüllungsjournalisten Kurt Kuch initiierte er die Kampagne "Don't Smoke". Mit ihrem Engagement – und dem vieler prominenter Unterstützer – erreichten sie den Umschwung in der politischen Meinungsbildung zugunsten eines Rauchverbots in Lokalen. Die Initiative fordert auch die Anhebung der Altersgrenze für Zigarettenkauf auf 18 Jahre und Steuererhöhungen auf Zigaretten.

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