Kuhstaub schützt vor Allergien
Belgische und deutsche Forscher haben entdeckt, warum am Bauernhof lebende Kinder weniger häufig an Allergien leiden. Vor allem ein neu entdecktes Enzym dürfte daran wesentlich beteiligt sein – und speziell Stallstaub. Das könnte in Zukunft ein Schlüssel für die Entwicklung neuer Medikamente zur Behandlung und sogar zur Prävention von Asthma sein.
Dieses Enzym heißt schlicht A20, befindet sich in den Schleimhäuten der Atemwege und kann offenbar Entzündungsreaktionen beeinflussen. Es ist bereits im Zusammenhang mit komplizierten Autoimmunerkrankungen wie Lupus aufgetaucht. "Im Zusammenhang mit Asthma ist es aber neu", sagt Erika von Mutius, Leiterin der Asthma- und Allergieambulanz am Dr. von Hauner’schen Kinderspital in München im KURIER-Gespräch. Sie forscht schon lange an sogenannten "Bauernhof-Studien".
In der aktuellen Untersuchung konnte sie mit den belgischen Kollegen Hamida Hammad und Bart Lambrecht von der Universität Gent im Maus-Versuch zeigen, dass mit dem Enzym übliche Entzündungsreaktionen, die etwa zu Asthma-Anfällen führen, verhindert werden. Die Studie wurde jetzt im Fachmagazin Science veröffentlicht.
Effekt auf Lungenzellen
"Es ist ein ganz neues Enzym, das offenbar einen unterdrückenden Effekt hat. Damit wurde ein Mechanismus gefunden, der die Lungenzellen schütz", erklärt von Mutius. "Die Untersuchungen haben außerdem gezeigt, dass die ganze Entzündungskaskade, die zu allergischen Asthma führt, nicht mehr abrollen kann, wenn A20 aktiviert ist."
Genau auf diese Aktivierung kommt es allerdings an – und diese Funktion übernimmt der Stallstaub beziehungsweise bestimmte, darin enthaltene Zellmembran-Bestandteile (Endotoxine). Warum sie diese Rolle ausüben, sei noch unbekannt, erklärt von Mutius. Bekannt ist hingegen, dass die Luft in der Nähe von Milchkühen besonders viele dieser Endotoxine enthält. Dieser Effekt tritt übrigens auch auf, wenn in Wohnungen mit Haustieren auf, betonen die Forscher. Das bestätigte sich ebenso mit Zellkulturen von menschlichem Lungengewebe. Das Gewebe gesunder Probanden enthielt im Gegensatz zu jenem von Asthmatikern größere Mengen des Enzyms.
Dass auf Bauernhöfen lebende Kinder seltener von Asthma und Allergien betroffen sind, ist nichts Neues. "Man wusste immer, dass der Schutz vor Allergien mit dem Stallaufenthalt zu tun hat, aber man wusste nicht, warum", sagt die Allergie-Forscherin.
Mit der Entdeckung des neuen Enzyms könnte nun aber ein weiterer Ansatz für Medikamente gefunden worden sein, mit dem sich der Ausbruch einer Allergie überhaupt verhinderbar sei. In der aktuellen Studie schreiben die belgischen Autoren: "Die Umgebung des Bauernhofs schützt vor Allergien, indem sie die Kommunikation zwischen Lungenzellen und bestimmten Immunzellen verändert." Erika von Mutius ergänzt: "A20 könnte ein Schlüssel zur Protektion sein. Jetzt, wo diese Substanz gefunden wurde, kann man weiter suchen." Die nächste Frage sei, wie das Enzym sonst noch aktiviert werden könnte.
Kinder, die auf Bauernhöfen und mit Tieren aufwachsen, haben ein geringeres Risiko für Allergien. Das haben zahlreiche Studien in den vergangenen Jahren gezeigt. Verantwortlich dafür sind laut Forschern verschiedene Gründe.
Rohmilch "Der Genuss von Rohmilch ist ein wesentlich Faktor für die Bildung eines Schutzmechanismus gegen Asthma", sagt die Münchener Allergieforscherin Erika von Mutius. Möglicherweise ist der größere Anteil an Molkeproteinen in unbehandelter Milch für diesen Effekt verantwortlich.
Botenstoffe Anhand spezieller Botenstoffe (Zytokine), die bestimmte Immunzellen stimulieren, wird das Immunsystem von Bauernkindern ständig "trainiert". Das zeigte eine Untersuchung mit 3500 Bauernkindern zwischen vier und acht Jahren. Die Kinder sind in ihrer Umgebung ständig mit Keimen konfrontiert, ihr Immunsystem wird toleranter.
Schwangerschaft Sogar der Aufenthalt im Stall vor der Geburt hat einen Schutzeffekt. Kinder, deren Mütter in der Schwangerschaft täglich mindestens 20 Minuten im Stall gearbeitet hatten, litten seltener an Asthma und Heuschnupfen. Das zeigte eine deutsche Studie. Neurodermitis trat bei Bauernkinder genauso häufig auf wie bei Kindern aus Dörfern.
DNA In der Erbsubstanz (DNA) Hunderter Kinder suchten Münchener Forscher nach Bakterien und Pilzen. Bei Bauernkindern waren grundsätzlich mehr davon vorhanden. Diese Vielfalt erklärt ein niedriges Asthmarisiko.
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