Krebsmedizin: "Es fehlt uns zunehmend an Zeit"

Im Gesundheitstalk: Onkologe Christoph Zielinski, Gabriele Kuhn (KURIER), Doris Kiefhaber (Krebshilfe), Ivo Winiger (Novartis) - v. li.
Große Fortschritte in der Onkologie stehen Mangel an Personal und Zeit gegenüber.

"Den einen Lungenkrebs oder Brustkrebs gibt es nicht mehr. Es gibt mindestens fünf oder sechs verschiedene Krebserkrankungen in der Lunge: Diese neue Sichtweise ist einer der großen Umbrüche in der Krebsmedizin." Univ.-Prof. Christoph Zielinski von der MedUni Wien war Mittwochabend einer der Podiumsgäste beim Gesundheitstalk "Krebsmedizin 3.0" im Van-Swieten-Saal der MedUni Wien.

Krebsmedizin: "Es fehlt uns zunehmend an Zeit"
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Tumore werden zunehmend nach ihrer Charakteristik auf der Ebene der Gene eingeteilt – etwa nach dem Vorhandensein einer bestimmten Veränderung (Mutation) eines Gens –, und nicht nach der Lage im Körper. Danach wird auch immer mehr die Therapie ausgerichtet: "So hat man zufälligerweise entdeckt, dass ein Medikament, das gegen eine bestimmte Leukämieform eingesetzt wird, genauso gut gegen einen speziellen Tumor im Bauchraum wirkt." In beiden Fällen kann über denselben Mechanismus die Vermehrung der Krebszellen blockiert werden.

Bestimmte solcher Veränderungen betreffen oft nur wenige Prozent z.B. aller Darmkrebspatienten – das macht es aber schwierig, die notwendige Zahl an Patienten zu finden, um in Studien die Sicherheit und Wirksamkeit eines neuen Wirkstoffes zu beweisen. "Wenn wir heute Studien zu seltenen Tumoren machen, müssen wir in 30 bis 50 Ländern hundert und mehr Spitäler haben, die mitmachen", sagt Ivo Winiger, medizinischer Direktor von Novartis Oncology. Doch dafür ist die Wirkung des Medikaments umso höher: "Wir entwickeln heute Therapien, von denen wir präzise sagen können, dieser oder jener Patient hat eine hohe Chance, dass er davon profitiert."

Patienten erwarten sich Heilung

Für die Mediziner sind die Fortschritte in vielen Bereichen beeindruckend, sagt Zielinksi: "Als ich begonnen habe, betrug die durchschnittliche Überlebensdauer bei fortgeschrittenem Brustkrebs mit Metastasen sechs bis neun Monate. Heute überleben diese Patientinnen im Schnitt fünf Jahre. Aber trotzdem geht das an der Erwartung der Betroffenen vorbei, denn diese erhoffen sich natürlich eine Heilung."

Wichtig wäre auch ein Ausbau der Palliativeinrichtungen: "Die Menschen, die dort arbeiten, sind für mich Helden. Zu sagen, ich kümmere mich jetzt nur mehr um die Beseitigung der Nebenwirkungen, und die Erleichterung des Sterbens widerspricht ja in Wirklichkeit dem, was wir als Ärzte gelernt haben. Aber irgendwann muss man sagen, es geht halt nicht mehr", so der Onkologe.

Probleme

Durch die Vielzahl der Aufgaben und das neue Ärztearbeitszeitgesetz fehle es zunehmend an Zeit. Hier müsse entweder mit mehr Personal "quantitativ aufgeholt" werden, "oder unsere Ansprüche müssen sinken".

"Es gab immer schon Zeitprobleme, aber momentan ist es eine Katastrophe", sagt Ingrid Kiefhaber, eine der beiden Geschäftsführerinnen der Krebshilfe Österreich. "Wir begleiten Patienten oft und merken: Der Arzt hat keine fünf Minuten ohne Unterbrechung Zeit. Es kann in einem Land wie Österreich nicht der Fall sein, dass Ärzten zugemutet wird, administrative Aufgaben zu übernehmen." Österreich müsse aber auch mehr in klinische Studien und Forschung insgesamt investieren, betont Zielinski. "Nur dann ist gewährleistet, dass wir an der Spitze mithalten können."

Und es seien auch Änderungen im sozialen Bereich notwendig: "Krankheit darf zu keiner finanziellen Katastrophe werden. Es müssen Patienten weiterarbeiten dürfen, wenn sie wollen", so Zielinski. Kiefhaber ergänzt: "Wir fordern seit Jahren, dass man nach einer Krebserkrankung stufenweise in den Beruf zurückkehren kann."

Etablierte Veranstaltungsreihe

Der Gesundheitstalk ist eine Veranstaltungsreihe von KURIER, Medizinischer Universität Wien und dem Pharmaunternehmen Novartis. Der nächste Gesundheitstalk findet am 2. Dezember, 18.30 Uhr, zum Thema „Psoriasis“ (Schuppenflechte) statt (Van-Swieten-Saal der MedUni Wien, Van-Swieten-Gasse 1a, 1090 Wien).

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