Kräuterarzneien wirken mehrfach
Auf der Suche nach ganzheitlichen Heilansätzen greifen immer mehr Menschen zu tibetischen Arzneien. Die moderne Wissenschaft beweist zunehmend, dass in den 2000 Jahren alten Rezepturen dieser Vielstoffgemische aus Pflanzen und Mineralien mehr als ein paar zusammengemischte Kräuter steckt. Auf einem Kongress in Zürich wurden in der Vorwoche neue Ergebnisse vorgestellt.
Um das Wesen der Traditionellen Tibetischen Medizin (TTM) zu verstehen, muss man als gelernter Mitteleuropäer umdenken. Nicht die Einzelsubstanz, sondern das gesamte Gemisch stellt den Wirkstoff dar. Bis zu 20 Einzelbestandteile können pro Arznei enthalten sein. "Die Inhaltsstoffe agieren netzwerkartig zusammen. Sie können mehrere, durchaus voneinander unabhängige Wirkmechanismen haben (Multi-target-Charakter) ", erklärt Kongresspräsident Prof. Reinhard Saller, Direktor des Instituts für Naturheilkunde am Universitätsspital Zürich.
"Diese Eigenschaften können wiederum unsere therapeutischen Möglichkeiten bei chronischen und multifaktoriellen Erkrankungen (z. B. Herz-Kreislauf, Diabetes etc.) erweitern" betont er. Zumal bei unserer älter werdenden Gesellschaft immer öfter mehrere chronische Erkrankungen vorliegen.
In der heutigen modernen Medizin reichen Anwendungserfahrungen aus mehreren Jahrtausenden aber nicht aus. Biochemiker Ao. Univ.-Prof. Florian Überall, MedUni Innsbruck, kennt die Problematik. "Durch die komplexe Zusammensetzung und eben die zu erwartende Mehrfach-Wirkung sind einer auf Evidenz basierten molekularen Wirkbeschreibung Grenzen gesetzt." Er forscht seit Jahren mit Zellkulturen nach bestimmten Biomarkern und setzt dabei auf Genanalysen und Genomforschung. Jetzt untersuchte er das
Mittel "Padma Circosan", das in Österreich seit 2011 – als einziges in Europa – als Arzneimittel für Durchblutungsstörungen registriert ist. Im Zellmodell suchte er nach jenen Genen, die durch die Arznei beeinflusst wurden. Er fand heraus, dass diese Gene 18 verschiedenen Gruppen zuordenbar sind. Und die gehören zu den Körpernetzwerken des Herz-Kreislauf- sowie des Immunsystems. "Das heißt, die Körperzellen werden tatsächlich von diesen Impulsen der Arznei beeinflusst. Das bestätigt die Indikation."
Einsatz in der Praxis
Pflanzliche Arzneimittel zeigen sich also offenbar anschlussfähig an die moderne Medizin. "Aber sie müssen sich auch in der Mainstream-Medizin bewähren", betont Naturheilkundler Reinhard Schaller. Gefäßmediziner Christian Regli vom Schweizer Kantonsspital Aarau setzt tibetische Rezepturen als Ergänzung von Standardtherapien ein. "Etwa bei Patienten mit Schaufensterkrankheit (periphere arterielle Verschlusskrankheit) verlängerte sich die Gehzeit signifikant. Durch die verbesserte Durchblutung erhöhte sich auch die Lebensqualität der Betroffenen."
Ähnliche Erfahrungen hat Psychiater Jens Tönnemann, Leiter des Instituts für transkulturelle Psychotherapie in Innsbruck, gemacht. "Gerade in der Psychiatrie haben wir viel Vorerfahrung mit dem Nebeneinander mehrerer Therapien, etwa indem wir medikamentöse und Psychotherapie kombinieren." Er setzt die Pflanzenarzneien ebenfalls als Ergänzung ein, um den Organismus ganzheitlich zu harmonisieren. "Bei manchen Patienten reduzierten sich Ängste und Anspannungssymptome schon nach wenigen Wochen."
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