Kontroverse: Ärzte bei Beschneidung uneinig

Kontroverse: Ärzte bei Beschneidung uneinig
"Mit Folter vergleichbar" bis "kein psychischer Schaden": Die Medizin hat keine einheitliche Meinung zur Beschneidung.

Seit ein deutsches Gericht Beschneidungen ohne medizinische Notwendigkeit als Körperverletzung eingestuft haben, wird die Diskussion sehr emotional geführt. Zeit, sich dem Thema unaufgeregt zu nähern: Nun melden sich auch österreichische Mediziner deutlich zu Wort.

Primar Karl Pummer, Präsident der Gesellschaft für Urologie, beginnt trotzdem auf der nicht-medizinischen Ebene. Er sieht vor allem einen rechtlichen Disput. "Da kollidieren zwei Grundrechte: Das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf die körperliche Unversehrtheit des Kindes. Politik und Gesellschaft müssen hier für Rechtsklarheit sorgen."

Folter-Vergleich

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Für seinen Kollegen Florian Wimpissinger, Urologe in der Wiener Rudolfstiftung, ist die fachlich "Zirkumzision" genannte Beschneidung von Buben ein "massiver Eingriff", der schwere Folgen für das spätere Sexualleben und den Selbstwert haben kann. Er verweist auf Studien mit beschnittenen Babys, deren Ausschüttung des Stresshormons Cortisol vergleichbar hoch wie bei gefolterten Häftlingen sei. "Beschneidung ist also durchaus mit Folter vergleichbar."

Pummer relativiert: "Nach jeder Operation kommt es zu einer Ausschüttung von Stresshormonen und bis zum zweiten Lebensjahr ist kein negatives Erinnerungsvermögen nachweisbar. Solche Vergleiche bringen uns nicht weiter." Kinderexperte Prim. Klaus Vavrik widerspricht: "Babys empfinden nach aktueller Forschung ebenso wie Erwachsene akuten Schnitt- oder Wundschmerz und verfügen über ein Wundgedächtnis."

Karl Dorfinger, Präsident des Berufsverbands der Urologen hält den Foltervergleich zwar für "drastisch" überzeichnet. Aber: "Studien weisen auch darauf hin, dass bei rein ritueller Beschneidung durchaus psychische Traumata auftreten können." Der Linzer Männerarzt Georg Pfau bestätigt das aus seiner Praxis. "Beschnittene Männer entwickeln häufiger Orgasmusstörungen. Die Sensibilität der Eichel ist beeinträchtigt."

Psychische Folgen

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Für Christa Pölzlbauer, Vizepräsidentin des Bundesverbandes für Psychotherapie, sind vor allem die psychischen Folgewirkungen relevant. "Frühkindliche Traumata werden nur selten als Konsequenz von Beschneidungen gesehen. Es können Ängste, Schlafstörungen oder Einnässen auftreten." Bei Teenagern kommen dann noch Unsicherheit oder ein falsches Körperbewusstsein dazu. Sexualmediziner Pfau: "Viele fühlen sich nicht als richtiger Mann und schämen sich beim Duschen, etwa nach dem Sport."

Einig sind sich Mediziner und Therapeuten allerdings darin, Beschneidungen dem ästhetisch-chirurgischen Fach zuzuordnen. Da sei natürlich auch eine Zustimmung des Betroffenen wünschenswert. Pummer fürchtet, dass die aktuelle Debatte mehr schadet als nutzt. "Keiner will, dass daraus Schmuddelchirurgie im rechtslosen Bereich im Hinterzimmer wird." Wimpissinger: "Das ist mehr, als nur ein lästiges Anhängsel wegzuschneiden."

Argumenten, die Beschneidung schütze vor Peniskrebs, HIV- oder HPV-Viren, erteilen die Experten eine Absage. "In unseren Breiten bedarf es keiner Beschneidung, um hygienisch zu leben", sagt Pfau. Urologe Dorfinger: "In Europa ist das kein Argument."

Tatsächlich hat die Vorhaut Vorteile für den Mann – nicht nur für dessen sexuelle Empfindsamkeit. Dorfinger: "Sie ist das ideale Ersatzgewebe für die Wiederherstellung operativ entfernter Harnröhren."

Info: Ritual aus altbiblischer Zeit

Definition Die Vorhaut (beweglicher Hautlappen, der die Eichel des männlichen Gliedes umschließt) wird ganz oder teilweise entfernt. Bei teilweiser Entfernung wird die Vorhaut eingeschnitten, abgebunden und so die Blutversorgung verhindert. Das Gewebe fällt nach wenigen Tagen ab.

Entstehung Beschneidungen waren schon im alten Ägypten üblich. Im Judentum sind sie Zeichen für den "Bund mit Gott". Das Alte Testament thematisiert die Vorhaut öfter. So musste David seinem Schwiegervater in spe 100 Vorhäute getöteter Philister bringen.

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