Kindheit im Krieg: „Er hat ihn einfach erschossen“

Kindheit im Krieg: „Er hat ihn einfach erschossen“
Die Wienerin Edda Peter erinnert sich an dramatische Szenen, die sie als Kind erleben musste.
Von Uwe Mauch

Das Wimmern des alten Mannes. Sie hört es heute noch. Der Mann musste in einer Nebengasse des dritten Bezirks knien und mit einer Zahnbürste über die Pflastersteine reiben, bis er vor Erschöpfung zusammenbrach. „Ein laut schreiender Mann in schwarzen Stiefeln trat dann auf den Wehrlosen ein.“

Edda Peter, Jahrgang 1940, war an diesem Tag noch nicht einmal drei Jahre alt. Über ihre Kindheitserlebnisse im Zweiten Weltkrieg hat sie ein berührendes Buch geschrieben (siehe rechts).

Kindheit im Krieg: „Er hat ihn einfach erschossen“

In Schutt und Asche

„Es gibt Erlebnisse, die trage ich mein ganzes Leben mit mir herum“, erklärt die Mutter von sechs erwachsenen Kindern beim Blättern durch ihr Fotoalbum. Friedlich rieselt der Schnee auf ihr Einfamilienhaus in der Kordonsiedlung im Westen von Wien. Weniger friedlich war es in ihrer Heimatstadt in den letzten Kriegsmonaten.

Die Zeitzeugin, die damals noch im 3. Bezirk lebte, erzählt, dass die Straßenbahn nach den Fliegerangriffen auf Wien nicht mehr überall fahren konnte: „Die Straßen waren zum Teil in einem desolaten Zustand.“ Manche Erinnerung schnürt ihr bis heute die Kehle zu, etwa jene an die durchs Mark gehenden Sirenen der Fliegerabwehr.

Im Buch erzählt sie auch über ihren Wettlauf mit dem Tod – bis zum Bunker im nahe gelegenen Arenbergpark: „Mutti schleifte mich über die Pflastersteine der Straße, denn ich hob meine Beine nicht mehr. Ich fühlte mich lahm, mein Kopf war leer.“

Es ist die Perspektive des kleinen Kindes, die Edda Peters Autobiografie so lesenswert macht. Später, als Erwachsene, zweifelte sie oft an sich selbst: „Bis vor wenigen Jahren bin ich bei jedem Flugzeug, das ich in der Ferne gehört habe, zusammen gezuckt. Selbst das Geräusch der Klospülung hat mich verängstigt.“ Doch ihre Angst hatte eine Ursache. Als das Dröhnen der Flugzeuge näher und näher kam, sah sie vor dem Bunker eine Torschlusspanik: „Es wurde immer enger rund um uns. Kinder schrien, alte Leute stöhnten vor Anstrengung. Hier gab es kein Rücksichtnehmen auf Schwächere, jeder war sich selbst am nächsten! Mutti ermahnte uns ständig, nur ja nicht die Hand loszulassen.“

Angst und Schrecken

Dann waren die Flugzeuge über dem 3. Bezirk: „Zweimal erbebte das ganze Gebäude, alle verstummten – kein Husten mehr, kein Weinen, und nach geraumer Zeit der erlösende Gedanke: der Bunker hatte standgehalten und es war uns nichts geschehen!“

Edda Peter sagt zwischendurch: „Zum Glück blieb meinen Kindern der Krieg erspart.“ Dann erzählt sie von jenem Mann, der in den letzten Kriegstagen mit seinem Fahrrad an einem Trupp blutjunger Soldaten vorbeifuhr und den eifrig Marschierenden zurief, dass sie „ham“ gehen sollten, weil dieser Krieg längst verloren sei. „Da hat einer der Soldaten sein Maschinengewehr auf ihn gerichtet. Er hat ihn einfach erschossen. Und seine Kameraden sind weitermarschiert, so als wäre nichts gewesen.“

Die Zeitzeugin hofft, dass junge Menschen heute wachsam bleiben. Damit die Demokratie nicht erneut von einer Diktatur abgelöst wird. Gerne würde sie von ihren Erlebnissen in Schulen berichten. Doch dazu müsste sie jemand einladen.

Den Schülern würde sie auch erzählen, dass das Leiden mit Kriegsende noch nicht zu Ende war. Zwar zogen die Nazis endlich ab, doch der Hunger blieb. „Einmal musste ich meiner Mutti mein Halsketterl zurückgeben, das hat sie auf dem Schwarzmarkt im Resselpark gegen Schmalz eingetauscht.“

Kindheit im Krieg: „Er hat ihn einfach erschossen“

Eine andere Geschichte

Seit zwei Jahren setzt sich die Bewohnerin der Kordonsiedlung im Westen von Wien ehrenamtlich dafür ein, dass die schmerzhaften Erinnerungen ihrer Nachbarn endlich eine würdige Entsprechung erhalten.

Konkret geht es um das Schicksal von 66 Siedlern, unter ihnen vor allem Kinder und Frauen, die bei einem Bombenabwurf am 26. Juli 1944 tragisch ums Leben kamen. Dort, wo heute auch im Winter Wohnwagen geparkt werden, auf dem Campingplatz Wien-West, stand bis zu diesem Tag ein leerer Wassertank, der eine nur trügerische Sicherheit versprach.

Warum die Bombe des US-Piloten dort niederging, ist unklar. Doppelt bitter ist jedenfalls, dass die Siedler laut Zeugenberichten erst beim Evakuierungsversuch endgültig unter den Trümmern begraben wurden.

Ihre Nachfahren, die in den vergangenen Monaten alle historischen Dokumente und auch einen Gedenkstein besorgt haben, bitten die Beamten in der Kulturabteilung und im Stadt- und Landesarchiv um ein klärendes Gespräch. Damit endlich eine für alle Seiten würdige und vor allem wissenschaftlich korrekte Inschrift in den Stein gemeißelt werden kann.

Bisher haben sie mit ihrer Bitte wenig Erfolg gehabt, wie Edda Peter mit Bedauern anmerkt. Doch wer die leidenschaftliche Zeitzeugin kennen lernen durfte, weiß, dass sie sich nicht so leicht entmutigen lässt.

Kindheit im Krieg: „Er hat ihn einfach erschossen“

Niemals vergessen

Die Autobiografie: Edda Peter: Kinderseele im Bombenhagel. 176 Seiten, Taschenbuch, 8,50 Euro. Ist im Eigenverlag erschienen, via Amazon erhältlich.

Der Todestag: Am 26. Juli 1944 kamen 66 Bewohner der Kordonsiedlung nach einem Bombentreffer der Alliierten auf dem Gelände des heutigen Campingplatzes Wien- West ums Leben, unter ihnen viele Frauen und Kinder.

Der Gedenkstein: Bewohner des Siedlervereins haben viel freie Zeit und eigenes Geld investiert, um am Todesort einen Gedenkstein anzubringen. Ihr Engagement wird von Bezirksvorsteherin Andrea Kalchbrenner unterstützt, die Gespräche mit dem Kulturamt und dem Stadtarchiv gestalteten sich aus  Sicht der Siedler weniger produktiv.

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