Kaufsucht: Fünf bis acht Prozent der Österreicher betroffen

Kaufsucht trifft Männer und Frauen in gleichem Ausmaß.
Wiener Experte Musalek: Männer genauso stark gefährdet wie Frauen. Diese Form der Abhängigkeit ist stark tabuisiert, schwer zu therapieren und Begleiterkrankung anderer psychischer Leiden.

Fünf bis acht Prozent der Österreicher sind stark Kaufsucht-gefährdet oder krank. Es handelt sich um eine extrem tabuisierte Abhängigkeit. Männer sind ähnlich häufig betroffen wie Frauen. Sucht ist fast immer die Begleitkrankheit einer psychischen Grunderkrankung, sagte Michael Musalek, Ärztlicher Leiter des Anton Proksch Instituts, bei den Österreichischen Ärztetagen in Grado.

Bereits 1992 zeigte sich bei einer Studie in den USA eine starke Kaufsuchtgefährdung bei 8,1 Prozent der Allgemeinbevölkerung, sagte Musalek. Dies könne hoch gegriffen sein, meinte der Suchtexperte, doch wenn man starke Gefährdung und echte Kaufsucht zusammennehme, komme man ziemlich konsistent auf ähnliche Prozentsätze in der Bevölkerung verschiedener Länder.

Suchtmittel muss attraktiv sein

"1990 - also mit der Erhebung der Situation vor dem 'Mauerfall' - zeigte eine Untersuchung in Deutschland eine Kaufsuchtgefährdung bei fünf Prozent der 'Westdeutschen' und eine von einem Prozent bei den 'Ostdeutschen'. 2005 waren es acht Prozent bei den 'Westdeutschen' und sechs Prozent bei den 'Ostdeutschen'", sagte Musalek. Es gelte also für die Kaufsucht ganz Ähnliches wie für alle andere Abhängigkeiten von Substanzen oder anderen "Kicks": "Ein Suchtmittel muss hoch attraktiv sein, sonst wird es kein Suchtmittel. Die Wirkung muss schnell abklingen, um eine Erneuerung des Reizes notwendig zu machen."

Kaufsucht: Fünf bis acht Prozent der Österreicher betroffen
Closeup of smiling early 30's handsome man choosing some clothes at retail store in local shopping mall. He's going through some jackets and choosing what would fit him the best. The man has short brown beard and mustache, wearing gray sweater. Side view shot,toned image.
Bei der Kaufsucht sind genau diese Charakteristika fast perfekt gegeben. "Die Verfügbarkeit von Konsumgütern hat in den ehemaligen ostdeutschen Bundesländern stark zugenommen. Das begründet auch die stärkere Steigerung der Kaufsuchtgefährdung in diesen deutschen Bundesländern nach 1989. Je besser verfügbar ein Suchtmittel oder eine (suchtmögliche; Anm.) Verhaltensweise ist, desto mehr Abhängige werden wir sehen", sagte Musalek. Das gelte auch für die aktuellen Diskussionen rund um die Freigabe des Gebrauchs von Cannabis. Nicht-Kriminalisierung von Cannabis-Konsumenten (Grenzmengenregelungen) und restriktive Maßnahmen sollten kombiniert werden.

In der Schweiz zeigte eine Studie bei fünf Prozent der Befragten eine stark Kaufsucht-gefährdete Situation. In Österreich lag dieser Anteil laut einer Gallup Institut-Erhebung im Auftrag der Arbeiterkammer bei 5,6 Prozent (2004) und 7,7 Prozent (2005).

Tabuisierte Form der Abhängigkeit

"Die Kaufsucht ist eine besonders tabuisierte Form der Abhängigkeit. 'Ich kann nicht einmal mehr mein Kaufverhalten steuern' wirft sich der Betroffene vor. Psychische Krankheiten werden an sich schon tabuisiert, noch mehr die Suchtkrankheit. Und dann auch noch 'Kaufsucht'", sagte der Experte. Umgekehrt gebe es - genauso wie bei der Online-Sucht - in der Gesellschaft keine Möglichkeit zur klassischen "Abstinenz". "Ohne Kaufen kann man kaum überleben. Ohne Internet funktioniert kaum mehr ein Sozialleben", sagte der Fachmann.

Kaufsucht: Fünf bis acht Prozent der Österreicher betroffen
young woman walking with shopping bags in hands, christmas background
Die Meinung, dass starke Kaufsuchtgefährdung primär eine Angelegenheit der (österreichischen) Frauen sei, ist falsch. Die Arbeiterkammer-Studie aus dem Jahr 2005 ergab bei den Frauen in der Altersgruppe der 45- bis 59-Jährigen einen Anteil von 11,9 Prozent, bei den Männern einen Anteil von 6,1 Prozent. Bei den 25- bis 44-Jährigen waren es 11,8 Prozent (Frauen) bzw. 6,9 Prozent unter den Männern.

"Geht um den Vorgang des Kaufens"

„Es geht nicht darum, Güter zu haben. Es geht um den Vorgang des Kaufens“, sagte der Wiener Suchtexperte Michael Musalek am Donnerstag bei den Österreichischen Ärztetagen in Grado. Der Unterschied zwischen Männern und Frauen betreffe in dieser Hinsicht am ehesten die Gattung der gekauften Güter: „Männer sieht man halt eher in Elektroläden. (...) Entscheidend ist der Kontrollverlust.“ Alle Kriterien der Entwicklung von normalen Gebrauch einer Substanz oder eines „normalen“ Verhaltens bis hin zur Suchtkrankheit gelten demnach auch für die Kaufsucht samt Kontrollverlust im betroffenen Konsumverhalten und des Verlierens aller anderen Interessen.

Es gibt allerdings durchaus geschlechtsspezifische Verhaltensweisen beim Kaufverhalten: In einer US-Studie wurde männlichen und weiblichen Probanden aufgetragen, in einen bestimmten Bekleidungssupermarkt zu gehen und dort Unterhosen zu kaufen. Die Männer steuerten in dem Einkaufszentrum ganz gezielt dieses Großgeschäft an. Die Frauen flanierten vor dem Kauf bei dieser Marke auch gleich noch zwei andere Großmärkte in unmittelbarer Umgebung.

Kaufsucht: Fünf bis acht Prozent der Österreicher betroffen
Interview mit Professor Michael Musalek anlässlich seines Buches "Sucht". Wien, am 11.08.2016.

Massiver Drang zu dem Verhalten

Alle von Kaufsucht Betroffenen sprächen von einem massiven Drang zu diesem Verhalten. Spezifische sei auch die Ausrichtung des Einzelnen auf spezielle Güterklassen. „Ein Mann hat beispielsweise bereits zwei Stereoanlagen und kauft noch drei dazu. (...) Oft werden die Güter nicht einmal mehr ausgepackt. Es gibt häufig versuchte Rückgaben. Oft werden Waren massenhaft im Ausverkauf erstanden“, sagte der Experte. Zum Schein würden die Güter dann auch oft verschenkt, was eine Rechtfertigung bedeuten könne („Nur für die Anderen gekauft“).

Schwierige Therapie

Bei echter Kaufsucht ist die Therapie jedenfalls schwierig, weil eine Abstinenz eben kaum erreicht werden kann. Doch das Konzept der Abhängigkeit als primäre psychiatrische Erkrankung wird laut Musalek im Grunde immer zweifelhafter: „Die Kaufsucht kommt praktisch nie alleine vor. Die Suchterkrankung ist die Komorbidität (Begleiterkrankung; Anm.) von anderen psychischen Erkrankungen.“ Depressionen, Angststörungen, Zwangsstörungen und Persönlichkeitsstörungen stünden in den meisten Fällen hinter der Entwicklung eines substanzabhängigen oder substanzunabhängigen Suchtverhaltens.

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