"Impfmüdigkeit ist Wohlstandsproblem"
Im Alter von acht Monaten erkrankte 1996 der Sohn von Bernhard Propper an Masern. Mit acht Jahren bekam er Gleichgewichtsstörungen, nach und nach "verlor er alle seine Fähigkeiten, konnte nicht mehr sprechen, nicht mehr alleine essen. 2004 sagten uns die Ärzte, dass er an einer Spätkomplikation von Masern, SSPE, leidet – und dass er daran sterben wird."
Proppers Sohn war zum Zeitpunkt der Infektion noch zu jung für eine Impfung – ihn hätte nur eine hohe Durchimpfungsrate (Herdenimmunität) schützen können – sind mehr als 95 Prozent einer Bevölkerung gegen Masern geimpft, sind Infektionsketten nicht mehr möglich.
"Wir wollen das Thema ,Ethik und Impfen‘ aufgreifen", sagt Christiane Druml, Vorsitzende der Bioethikkommission im Bundeskanzleramt. Diese organisierte Mittwoch eine Diskussion zu dem Thema. "Wir sollten auch an diejenigen denken, die noch nicht (Säuglinge, Anm.) oder überhaupt nicht (z.B. wegen einer Immunschwächeerkrankung) durch eine Impfung geschützt werden können" – und deshalb auf eine Herdenimmunität angewiesen sind.
Einer der Hauptgründe für die in Industriestaaten verbreitete Impfmüdigkeit sei ein "Wohlstandsproblem", sagte der Arzt und Philosoph Urban Wiesing (Bild) vom Institut für Ethik und Geschichte der Medizin der Uni Tübingen: "Wir sehen nicht mehr, wie unsere Nachbarn von Infektionskrankheiten hinweggerafft werden."
Kein Impfzwang
Einen "Impfzwang" lehne er aber ab: "Andere Länder – etwa Finnland – haben eine Herdenimmunität auch ohne Zwang erreicht." Vielmehr müssten Maßnahmen wie Aufklärung, Werbung und Anreizsysteme stärker ausgeschöpft werden. Kein Problem sehe er in einem "kleinen Impfzwang": Also wenn z. B. eine Kindereinrichtung nur geimpfte Kinder aufnimmt – "und dies gut den Eltern gegenüber begründet".
"Ich habe Eltern noch nie von einer Impfung abgeraten, aber es muss möglich sein, kritische Fragen zu dem Thema stellen zu dürfen", sagte die Kinderärztin Elisabeth Frank, Schulärztin an der Rudolf-Steiner-Schule in Wien-Mauer. Es sei ein Wahnsinn, die HPV-Impfung gegen Gebärmutterhalskrebs an Schulen einzuführen, ohne dass es zuvor die Möglichkeit gibt, ein Gespräch mit den Eltern zu führen. Sehr merkwürdig komme ihr auch die kontinuierliche Aneinanderreihung von immer mehr und mehr Impfungen vor. Es gebe eine wissenschaftliche Arbeit, die zeige, dass bei einer steigenden Zahl von Impfdosen im ersten Lebensjahr auch die Sterblichkeit der Kinder steige.
Aufklärung
Kinderarzt Prim. Franz Zwiauer, Leiter der Kinderabteilung im Landesklinikum St. Pölten, wies das zurück: "Ich könnte sehr viele andere Arbeiten zitieren, wonach das Immunsystem auch mit vielen Impfdosen keine Probleme hat. Vor Einführung der Impfung gegen das Haemophilus-influenzae-Bakterium (kann zu Hirnhautentzündungen führen, Anm.) habe ich fünf Fälle in einem Jahr gesehen, seit es die Impfung gibt, keinen einzigen mehr." Es sei auch möglich, die Eltern schriftlich aufzuklären und im Anschluss die Möglichkeit eines persönlichen Gespräches anzubieten.
Ursula Köller, Vorsitzende der Arbeitsgruppe "Impfen" der Bioethikkommission: "Derzeit sterben weltweit täglich 2000 bis 4000 Menschen, weil sie keinen ausreichenden Impfschutz haben."
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