HIV-Heilung in Sicht? Moderne Technologie weckt schlafendes Virus in Zellen

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Australischen Forschenden ist es gelungen, das schlummernde HI-Virus in Zellen zu wecken. Eine Heilung der Infektionskrankheit könnte damit Realität werden.

Vieles ist in der HIV-Forschung in den vergangenen Jahren gelungen: Dank wirksamer Medikamente kommt eine Infektion mit dem HI-Virus heute einer chronischen Erkrankung gleich. In Einzelfällen ist es mittels Stammzelltherapien gelungen, das Virus gänzlich aus dem Körper betroffener Menschen zu entfernen – und sie so dauerhaft zu heilen. In der Breite hat sich dieser Ansatz nicht bewährt.

Eine HIV-Infektion bleibt damit für die allermeisten Betroffenen mit einer lebenslangen Medikamenteneinnahme verbunden. Vor allem in ärmeren Ländern ist eine Ansteckung mit dem Erreger nach wie vor oft ein Todesurteil: Laut UNAIDS starben im Jahr 2023 weltweit rund 630.000 Menschen an den Folgen von AIDS, jener Erkrankung, die das HI-Virus auslösen kann.

Womöglich entscheidender Schritt in Richtung Heilung

Überall auf der Welt suchen Forschende deshalb weiterhin nach potenten Heilungsansätzen. Einem Team um die Infektiologin und Immunologin Paula Cevaal vom Institute for Infection and Immunity in Melbourne könnte nun ein entscheidender Schritt in diese Richtung gelungen sein.

In Experimenten ist es geglückt, versteckte HI-Viren in menschlichen Zellen sichtbar zu machen.

Der tückische Charakter des HI-Virus

Dazu muss man eine tückische Eigenschaft des HI-Virus kennen: Es kann in menschlichen Zellen überwintern, indem es sich in die Erbsubstanz einschreibt oder Zellen an Stellen des Körpers infiziert, die das Immunsystem nicht gut erreicht. Wenn das Virus in einer Zelle schläft, wird an der Zelloberfläche kein Bestandteil des Erregers präsentiert – das Virus ist für die Immunabwehr unsichtbar. Auch Medikamente greifen die schlafenden Viren nicht an, weil sie sich nicht vermehren und das der Punkt ist, wo die Arzneien hemmend eingreifen. Über Blutmessungen ist dieses unsichtbare Reservoir schwer messbar. 

"Das ist der Grund, warum selbst nach jahrelanger, erfolgreicher medikamentöser Therapie das Virus sofort wieder erwachen und sich vermehren kann, sobald die Medikamente, die das Virus unterdrücken, abgesetzt werden", präzisiert der Infektiologe Alexander Zoufaly, Präsident der Österreichischen AIDS-Gesellschaft, im KURIER-Gespräch.

Erreger mittels mRNA-Technologie aktiviert

Die australische Gruppe nutzte das Potenzial der mRNA-Technologie. Eine biomedizinische Methode, bei der sogenannte Messenger-RNA als Träger von genetischer Information verwendet wird, um gezielt Proteine in menschlichen Zellen herzustellen. Bekannt wurde sie vor allem durch die Covid-Impfstoffe. 

In der im Fachblatt Nature Communications veröffentlichten Studie zeigen die Forschenden erstmals, dass mRNA in jene Zellen eingeschleust werden kann, in denen sich das HI-Virus versteckt – indem sie in eine winzige, speziell entwickelte Fettblase verpackt wird. Die mRNA gibt den Zellen den Befehl, das Virus offenzulegen. "Durch das Einschleusen dieses Aktivators beginnt das Virus aus der Zelle freigesetzt zu werden. Man bekommt es aus dem Schlummer-Status heraus", präzisiert Zoufaly.

"Bereichernder Erfolg aus der Grundlagenforschung"

Es sei "ein spannender und sicherlich bereichernder Erfolg aus der Grundlagenforschung", sagt Experte Zoufaly. Seit vielen Jahren verfolgt die Wissenschaft das Ziel, das schlafende HI-Virus im Körper zu wecken. "Es wurden unterschiedliche Substanzen erprobt, die teilweise nicht genug funktioniert haben, zum Teil erhebliche Nebenwirkungen hatten und es nicht bis zur Anwendung am Menschen geschafft haben."

Etwas Vergleichbares wie jetzt sei bislang nicht gelungen, betont Zoufaly, gibt aber zu bedenken: "Man wird erst in einiger Zeit sehen, ob der Ansatz beim Menschen hält, was er verspricht." Zoufaly rechnet nicht damit, dass der Ansatz es in Form eines therapeutischen Verfahrens "nicht in absehbarer Zeit in die Kliniken schaffen wird". Es sei "gegenwärtig noch unklar, welche Bedeutung dieser Erfolg für den einzelnen Menschen haben wird".

Vom Labor in die Klinik

Tatsächlich stammen die aktuellen Ergebnisse aus Laborversuchen mit Blutproben HIV-positiver Personen. Weitere Studien an Tieren und Menschen sind geplant. Die verwendete Technologie sei laut Zoufaly "an sich klinisch erprobt und hat bei anderen Erkrankungen bereits Erfolge gezeigt".

Neben offen Fragen zur klinischen Wirksamkeit sei fraglich, "ob das Virus mit der Technologie aus allen Zellen, in denen das HI-Virus schlummert, freigesetzt werden kann", sagt Zoufaly. Unklar sei auch – das betonen die Autorinnen und Autoren der neuen Studie selbst –, ob das bloße Sichtbarmachen des Virus ausreicht, damit das Immunsystem es bekämpfen kann. Oder ob die Technologie mit anderen Therapien kombiniert werden muss.

"In der Biomedizin schaffen es viele Dinge nicht in die Klinik"

Auch wenn der Weg zur Heilung von HIV nun ein Stück weiter geebnet scheint: Bis entsprechende Therapien für HIV-infizierte Menschen in greifbare Nähe rücken, wird es noch dauern. "Allerdings haben wir eine hochwirksame Behandlung, die Betroffenen schon jetzt ein weitgehend gesundes und normales Leben ermöglicht", sagt Zoufaly. 

Auch Studienleiterin Cevaal bleibt realistisch: "In der Biomedizin schaffen es viele Dinge letztlich nicht in die Klinik – das ist die traurige Wahrheit. Im Hinblick auf das spezifische Feld der HIV-Heilung haben wir aber noch nie etwas gesehen, das auch nur annähernd so gut ist wie das, was wir jetzt sehen."

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