Gen-Tests: "Zu früh, dafür Geld zu verlangen"

Wie intelligent wir sind, hängt sowohl von unseren Genen als auch von den Umweltbedingungen ab, ist aber ab einem bestimmten Alter relativ stabil. Aber kann Gehirntraining das ändern?
Großer Nutzen für die Forschung, wenig für den Einzelnen, sagt der Genetiker Markus Hengstschläger.

Univ.-Prof. Markus Hengstschläger ist Vorstand des Instituts für Medizinische Genetik der MedUni Wien.

KURIER: Nehmen wir an, ein Bekannter, bei dem Geld keine Rolle spielt, fragt Sie um Rat, ob er sich von Craig Venters Firma (siehe Bericht hier) durchchecken lassen soll. Würden Sie ihm dazu raten?

Markus Hengstschläger: Nein. Ich will nicht sagen, dass das gar keinen Nutzen bringt. Aber er rechtfertigt sicher nicht die Kosten. Es ist ganz sicher nicht so, dass ich diesen Check mache und nachher sagen kann, "so, jetzt weiß ich alles über mich". Sie werden – als Gesunder – einige statistische Wahrscheinlichkeiten herausbekommen, dass Ihr Risiko da oder dort theoretisch erhöht ist, aber keine Ja- oder Nein-Antworten. Denn wir können noch viel zu wenig den Einfluss von Umweltfaktoren bewerten. Solche großen Check-ups, wie sie die Craig-Venter-Firma durchführt, halte ich derzeit für Einzelperson nicht für seriös. Wenn es hingegen darum geht, seine Daten anonymisiert für die Forschung zur Verfügung zu stellen, dann bin ich dafür. Denn wissenschaftlich ist das Ganze sehr spannend – obwohl es auch hier Fragen gibt.

Welche?

Gen-Tests: "Zu früh, dafür Geld zu verlangen"
Markus Hengstschläger am 15.1.2014 im gesundheitstalk
Durch diese umfangreichen Tests werden Millionen an Daten gewonnen. Aber wie können sie sinnvoll ausgewertet werden? Ein Beispiel: Die Analyse der Bakterienzusammensetzung ist wahnsinnig spannend. Aber um ihre persönlichen Ergebnisse dann einordnen zu können, bräuchte man Vergleichsanalysen von Tausenden Menschen mit dieser oder jener Krankheit, um sagen zu können: Dieses oder jenes Merkmal deutet auf dieses oder jenes hin. Aber da haben wir noch viel zu wenige Vergleichsdaten. Und viele genetische Veränderungen können wir noch überhaupt nicht einordnen: Sind sie gesundheitlich relevant oder haben sie keinerlei Bedeutung? Das ist ein Forschungsthema. Heikel wird es, wenn man dafür von einzelnen Menschen Geld verlangt und ihnen vermittelt, sie könnten damit ihr Leben deutlich verlängern. Das geht noch nicht.

Wird der Traum vom ewigen, oder zumindest einem längeren Leben irgendwann real?

Wenn es darum geht, unseren derzeitigen maximalen Lebenszeitrahmen von ca. 120 Jahren deutlich zu verlängern, sagen wir auf 150 oder 200 Jahre, dann bin ich sehr skeptisch. Denn im Alter häufen sich einfach genetische Fehler. Und Sie können nie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein, um alle Fehler rechtzeitig zu korrigieren. Was ich nicht ausschließe: Dass wir in Zukunft mehr gesunde und fitte Hundertjährige haben werden als heute. Schon heute können wir z. B. durch genetische Analysen von Tumorgewebe in bestimmten Fällen zielgerichtet die beste Therapie auswählen – und damit Leben verlängern. Aber darum geht es bei Konzepten wie jenem von Craig Venter gar nicht in erster Linie: Da ist das Ziel, dass der Gesunde mehr will – nicht nur mehr gesunde Lebensjahre im bisherigen Lebenszeitrahmen, sondern insgesamt noch mehr Jahre.

Die einen bejubeln Craig Venter, die anderen kritisieren "Allmachtsfantasien".

Wir brauchen in der Forschung Menschen wie Venter, die Fragen aufwerfen. Denken Sie an die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes vor 15 Jahren, die ihm als Erstem gelang: Ohne ihn wären wir heute in der Forschung nie so weit. Venter ist einer, der den klassischen alten Weg kennt, aber diesen sehr gerne verlässt, um etwas Neues auszuprobieren. Aber wenn es um die wirtschaftliche Umsetzung geht, dann macht Venter eine Gratwanderung. Meiner Meinung nach ist es zu früh, dafür Geld zu verlangen – und noch dazu so viel.

Mehr als eine Million Menschen hatten sich seit 2007 den Test zuschicken lassen: Eine Box mit einem Plastikröhrchen, in das sie ein wenig Speichel spuckten – und fest verschlossen an das kalifornische Biotechunternehmen „23andMe“ zurückschickten (der Name bezieht sich auf die 23 Chromosomenpaare eines Menschen). Vor zwei Jahren untersagte die US-Gesundheitsbehörde FDA den Verkauf an Privatpersonen – jetzt kommt der Test in abgespeckter Form wieder auf den Markt.

Die Speichelproben wurden ursprünglich auf Risikofaktoren für mehr als 100 Krankheiten untersucht. Die Einsender erhielten unter anderem Angaben darüber, ob sie ein erhöhtes Risiko für Brust- oder Eierstockkrebs, Herzerkrankungen oder Alzheimer haben.

Doch der Test hatte keine Zulassung der FDA – und die Behörde stoppte 2013 die Vermarktung. Sie hatte Zweifel an den wissenschaftlichen Grundlagen und fürchtete, dass Fehlinterpretationen – abgesehen von der Verunsicherung – zu unnötigen medizinischen Eingriffen führten könnten.

Der neue Test (um 199 US-Dollar) ist weniger umfangreich. Untersucht wird nur mehr das Vorhandensein genetischer Veränderungen, die Auslöser von 36 Erbkrankheiten wie Zystische Fibrose oder Sichelzellenanämie sind. Reine Risikoabschätzungen etwa für Alzheimer oder Herzkrankheiten gibt es nicht mehr – abgesehen von der Anfälligkeit für Haarausfall, Sommersprossen und Laktose-Intoleranz.

Genetiker Markus Hengstschläger, auch Erster stv. Vorsitzender der Bioethikkommission dazu: „Dieses Vorgehen ist für mich unverständlich. Wenn es in einer Familie eine monogenetische Erkrankung (wird durch eine Mutation in einem einzelnen Gen verursacht, Anm.) gibt, Eltern mit so einem Test Erbsubstanz ihres Kindes untersuchen lassen und dann mit dem Befund alleingelassen sind – das ist unverantwortlich. Um die Konsequenzen abschätzen zu können, muss so ein Test mit genetischer Beratung kombiniert werden.“

Kommentare