Heftiger Streit um Gesundheit der Dicken
Die Auseinandersetzung könnte heftiger nicht sein: „Diese Studie ist ein riesiger Berg aus Müll“, sagt Walter Willett von der US-Harvard School of Public Health. Ganz anders Steven Heymsfield und William Cefalu vom US-Pennington Biomedical Research Center: „Möglicherweise ist nicht bei allen Menschen mit Übergewicht und leichter Fettleibigkeit – besonders bei chronischen Kranken – eine Therapie zur Gewichtsreduktion notwendig.“
Auslöser des Streits: Eine Auswertung von 97 Studien mit 2,9 Millionen Teilnehmern durch Katherine Flegal von den Centers for Disease Control in Maryland. Demnach ist die Sterblichkeit unter Übergewichtigen am geringsten – in ihrer Gruppe gab es um sechs Prozent weniger Todesfälle als unter Normalgewichtigen – der KURIER berichtete. „Diese Studie ist ganz sicher kein Freifahrtschein für eine Gewichtszunahme“, betont Primar Univ.-Prof. Friedrich Hoppichler, Ärztlicher Direktor und Leiter der Abteilung für Innere Medizin des Krankenhauses der Barmherzigen Brüder in Salzburg. Er ist Initiator des Vereins SIPCAN, der Projekte für eine gesunde Ernährung von Jugendlichen durchführt.
„Für Kinder und Jugendliche gelten die Aussagen der Studie überhaupt nicht, und aus meiner Sicht auch nicht für Erwachsene bis ca. 65. Denn meine Erfahrung und auch die Ergebnisse anderer Studien gehen in eine ganz andere Richtung.“
Denn zum einen sage der Body-Mass-Index (nach diesem wurden die Studienteilnehmer in normal- und übergewichtig eingeteilt) nur etwas über das gesamte Körpergewicht, aber nichts über die Verteilung des Fetts im Körper und auch nichts über den Anteil der Muskelmasse aus, sagt Hoppichler: So kann ein Sportler mit viel Muskeln und wenig Fett den gleichen BMI haben wie ein Mensch mit wenig Muskeln und viel Fett: „Muskulöse Sportler wie Hermann Maier wären laut BMI übergewichtig.“
Risikofaktor Bauchfett
Gleichzeitig liefere der BMI auch keine Angaben über die Menge des Bauchfettes. „Das viszerale Fett in Bauch und Leber wurde in diese Analyse nicht einbezogen – dieses ist aber der größte Risikofaktor für Herzinfarkt, Schlaganfall, Bluthochdruck und Diabetes“, betont der Mediziner.
Die wichtigste Messung sei deshalb jene des Bauchumfanges. Ein erhöhtes Gesundheitsrisiko beginnt bei Frauen ab 80, bei Männern ab 94 Zentimetern (siehe Grafik). Dieser Umfang entspreche bei vielen Menschen gleichzeitig einem BMI im beginnenden Übergewichtsbereich. „Ab diesen Bauchumfangs- bzw. BMI-Werten kommt es sehr oft schon zu einer ersten Insulinresistenz: Der Körper kann das von der Bauchspeicheldrüse produzierte Insulin nicht mehr optimal verwerten, der Nüchternblutzucker steigt bereits an. Das ist bereits eine Diabetes-Vorstufe, aus der sich ein Typ-2-Diabetes entwickeln kann. Das Risiko ist einfach sehr groß, dass Übergewicht zu gefährlichen Begleiterkrankungen führt.“
Ein leichtes Übergewicht habe nur bei älteren Menschen gewisse Vorteile. „Sie können im Krankheitsfall von diesen Energiereserven profitieren und sind überdies viel stärker unter ärztlicher Kontrolle.“ Deshalb gelten bei ihnen auch andere BMI-Werte.
Am wichtigsten sei es, durch Ausdauertraining – am besten drei Mal in der Woche – Muskelmasse aufzubauen, betont Hoppichler: „Das reduziert automatisch den Bauchfettanteil und damit u.a. das Risiko für Diabetes und Bluthochdruck.“
Also wie jetzt? Müssen wir den Weihnachtskilos mit Super-Diäten zu Leibe rücken, mit denen wir dieser Tage medial überfüttert werden? Oder ist leichtes Übergewicht gar lebensverlängernd, wie jüngst eine amerikanische Studien-Analyse versprach? Die wird jetzt von empörten Medizinern mit schwergewichtigen Argumenten demontiert. Und in der Tat ist die These, dass Dickere länger leben, weil sie früher zum Arzt gehen und im Alter einen guten Polster haben, ein wenig kraus. Das ist so, als wollte man das Werben eines Sportmediziners für mehr Bewegung („In der Steinzeit legte ein Mensch täglich bis zu 19 Kilometer zurück, heute sind es im Schnitt 800 Meter“) ins Gegenteil kehren und sagen: Na seht, und die Neandertaler haben damals wesentlich kürzer gelebt.
Wahr ist: Zu viel (ungesundes) Futter und zu wenig Bewegung sind der Gesundheit nicht förderlich. Das weiß man, spürt man, sagt einem der gesunde Menschenverstand. Der bei manchen Studien – bei der Erstellung und beim Glauben daran – offenbar zu sehr auf Diät ist.
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