Warum der Hausarzt unterschätzt wird
Rund 6500 Ärzte führen derzeit in Österreich eine Praxis für Allgemeinmedizin, 3800 davon eine Kassenpraxis. Ihre Rolle wird vielfach unterschätzt, sagt Allgemeinmediziner Wolfgang Spiegel anlässlich des heutigen "World Family Doctor Day".
KURIER: Wie geht es den Ärzten für Allgemeinmedizin?
Wolfgang Spiegel:Ihre berufliche Situation wird immer unerfreulicher. Freie Kassenstellen können schwieriger nachbesetzt werden, für viele Leistungen sind die Honorare seit Langem nicht erhöht worden. Steigende Anforderungen an Qualitätssicherung, Dokumentation und Verwaltung lassen Einzelkämpfer an ihre Grenzen stoßen. Hier bräuchte es Erleichterungen, etwa dass Ärzte Ärzte anstellen können. In allen Regierungserklärungen der vergangenen 15 Jahre ist von einer Aufwertung der Hausärzte die Rede. Bis jetzt ist es nicht dazu gekommen.
Aber die Bevölkerung schätzt sie.
Eine amerikanische Studie einer Arbeitsgruppe von Macinko hat festgestellt, dass die Gesundheitsergebnisse auf Bevölkerungsebene um so besser sind, je höher die Anzahl von Allgemeinärzten im Verhältnis zu den Fachärzten ist. Statistisch gesehen bringt ein zusätzlicher Hausarzt (per 10.000 Patienten) eine Reduktion der Sterblichkeit in der Bevölkerung um 5,3 Prozent. Anders ausgedrückt sterben in einer Bevölkerung von 100.000 pro Jahr 49 Personen weniger, wenn sie von einer zusätzlichen Hausärztin oder einem zusätzlichen Hausarzt betreut werden.
Können Sie ein konkretes Beispiel für so ein besseres Gesundheitsergebnis nennen?
Eine junge Frau schildert der Hausärztin ,Brennen beim Harnlassen‘ und wiederkehrende Bauchschmerzen. Die Abklärung und Behandlung einer unkomplizierten Harnwegsinfektion ist Routine in der Hausarztpraxis. Die wiederkehrenden Bauchschmerzen aber wurden im Rahmen des hausärztlichen Gesprächs als Symptom einer behandlungsbedürftigen Depression erkannt, was die rein organmedizinische Abklärung nicht gezeigt hätte. Sogar junge, prinzipiell gesunde Menschen haben meist mehr als nur ein relevantes Gesundheitsproblem – und wie eines das andere bedingt, sollten von einem breit ausgebildeten Allgemeinmediziner wahrgenommen werden. Natürlich kann der Hausarzt als Generalist nicht alles wissen. Braucht er auch nicht, denn erfahrene Hausärzte erkennen, was typisch und häufig ist. Bei atypischen Verläufen oder seltenen Krankheitsbildern werden sie von sich aus fachärztliche Kompetenz hinzuziehen oder den Patienten überweisen.
Geht diese ganzheitliche Sichtweise heute etwas verloren?
Wie kann die Situation der Hausärzte verbessert werden?
Alle reden von neuen Zentren für die medizinische Grundversorgung (Primary Care-Modell). Dort sollen verschiedene Gesundheitsberufe unter einem Dach arbeiten. Wir benötigen aber gleichzeitig eine Aufwertung der Möglichkeiten für die Einzelpraxen: Auch sie sollten die Möglichkeit haben, nötigenfalls Leistungen anderer Berufsgruppen – etwa von Sozialarbeiter oder Pflegepersonal – abrufen zu können. Die neue Ausbildungsordnung für Allgemeinmediziner sieht ab Sommer 2015 eine verpflichtende sechsmonatige Lehrpraxis bei einem Hausarzt vor. Die Finanzierung für die Anstellung von Turnusärzten beim Hausarzt muss aber durch die Politik bereitgestellt werden, da die Ausbildung eines Turnusarztes den Umsatz eines Hausarztes oder -ärztin nicht erhöht.
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