Fatale Flora: Wenn Giftpflanzen zur Mordwaffe werden

Die Beeren der Tollkirsche glänzen tiefschwarz – sie sind so verlockend wie giftig.
Mit ihrem Gift, dem Atropin, versuchte Paul Agutter in Schottland, seine Frau zu ermorden. Sein Motiv: klassisch. Er wollte seine Geliebte heiraten. Um den Verdacht von sich abzulenken, präparierte er 1994 in einem Supermarkt mehrere Tonic-Water-Flaschen mit Atropin. Viele Menschen landeten im Krankenhaus. Die Bevölkerung von Edinburgh geriet in Panik. Das Tonic seiner Frau zu Hause versah er mit einer höheren Dosis. Sie überlebte, er landete im Gefängnis.
Der Eisenhut leuchtet blauviolett in der Wiese – er ist so schön wie tödlich.
Aconitin heißt das Gift, das er enthält. Es wurde Lakhvinder Cheema in London zum Verhängnis. Seine Ex-Geliebte mischte es ihm 2009 ins Curry. Ihr Motiv: Eifersucht. Für das Opfer kam jede Hilfe zu spät.
Die Autorin Noemi Harnickell widmet sich in ihrem neuen Buch „Fatale Flora“ den Giftpflanzen und den menschlichen Abgründen. Ihre Inspiration fand sie im Garten des englischen Schlosses Alnwick, im eigens angelegten Poison Garden.

Zu jeder giftigen Blume, jedem Strauch, jedem Baum gibt es eine Geschichte über Mörderinnen und Mörder, die sich ihrer Inhaltsstoffe bedienten. Solche, die echt passiert sind, und solche, die sich in Krimis wiederfinden. Auch Harry Potter spielt eine Rolle, genauer gesagt die Alraune. Bei Potter kann ein aus ihr gebrauter Trank Versteinerungen lösen. Und in Wirklichkeit? Ist sie voller Gift, das das Herz rasend schnell schlagen lassen kann. Zu schnell.
Und es gibt noch vieles zu entdecken: Die Blüten der Engelstrompete stechen gelborange aus dem Grün hervor. So betörend sie duften, so gefährlich sind sie.
Andreas W. wollte 2001 high werden. Der junge Deutsche brühte sich einen Tee aus drei Blüten – und erlebte einen Höllentrip. Der Fall machte Schlagzeilen. Denn W. verstümmelte sich selbst: Er schnitt sich Zunge und Penis ab. Nichts für Zartbesaitete.
Daher enthält das Buch zu Beginn eine Warnung: Es kann grauslich werden. Doch die meisten Geschichten sind nicht verstörend, sondern spannend – manche lesen sich wie Agentenkrimis, geschahen aber wirklich.
Georgi Markow, bulgarischer Schriftsteller und Regimekritiker, wurde 1978 in London mit Rizin ermordet. Ein Geheimagent injizierte ihm das Gift mit einem präparierten Regenschirm. Markow starb qualvoll. Erst viel später war klar, dass es sich um Rizin handelte.
Gift oder Heilmittel
Giftpflanzen üben nicht nur auf Krimifans eine besondere Faszination aus. Ganz nebenbei lernt man durch sie etwas über Botanik. Schade nur: Das Buch enthält keine Abbildungen. Zu gerne hätte man Alraune, Fingerhut oder Schlafmohn gesehen.
Noemi Harnickell:
„Fatale Flora. Von giftigen Pflanzen und gemeinen Menschen“
Harper Collins, 288 Seiten,
22 Euro
Was gilt eigentlich als giftig? Viele der beschriebenen Pflanzen wurden oder werden auch als Heilmittel genutzt. Immer wieder stößt Harnickell dabei auf das Thema Hexen. Eines hat sich bis heute nicht geändert: Frauen, die sich mit giftigen Pflanzen beschäftigen, begegnet man oft mit Argwohn. Das zeigt auch die Widmung der Autorin: „Für meinen Vater, Bernhard Harnickell, der nicht mehr zum Essen vorbeigekommen ist, seit ich mit der Recherche für dieses Buch begonnen habe.“
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