Wirbel um Ärztekammer-Fortbildung: Homöopathie gegen Long Covid?
Eine Fortbildungsveranstaltung der "Kurie Angestellte Ärzte" der Wiener Ärztekammer am 20. April zum Thema "Komplementäre ärztliche Homöopathie bei Post- und Long Covid" sorgt jetzt im Vorfeld für heftige Diskussionen: Der deutsch-britische Mediziner Edzard Ernst übt daran scharfe Kritik und übertitelt seinen Artikel auf seiner Webseite mit "Hat die Wiener Ärztekammern ihren Verstand verloren?". Edzard Ernst war der weltweit erste Inhaber eines Lehrstuhls für Alternativmedizin - an der Universität Exeter in Großbritannien und wurde 2011 emeritiert. Die Psychiaterin und Allgemeinmedizinerin Elisabeth Lazcano-Kraupp vom Referat für Komplementäre und integrative Medizin der Wiener Ärztekammer verteidigt hingegen die Veranstaltung.
Die Anmeldung für diese Fortbildung erfolgt über das "Referat komplementäre und integrative Medizin" der Ärztekammer für Wien. Teilnehmer erhalten dafür im Rahmen des Diplomfortbildungsprogramms DFP zwei Punkte gutgeschrieben.
"Falls Sie sich fragen, was an einem solchen Kurs falsch sein soll?", schreibt Ernst in dem Beitrag auf seiner Homepage: "Es gibt keine wissenschaftliche Evidenz dafür, dass die Homöopathie eine spezifische, positive Wirkung bei Long / Post-Covid hat. Daher hat die angekündigte Veranstaltung etwa die gleiche Aussagekraft wie eine Vortragsreihe für 'Bungee-Jumping bei Diabetes' oder 'Donut-Essen gegen Koronare Herzkrankheit' oder 'Zigarettenrauchen zur Krebsprävention'."
Während entsprechende pseudomedizinische Schulungen in der Vergangenheit von den einschlägigen österreichischen SCAM-Organisationen veranstaltet wurden, reihe sich nun auch die Wiener Ärztekammer in die Riege der Organisatoren von Pseudomedizin-Schulungen ein, heißt es in dem Artikel von Edzard Ernst.
Sei die Pseudomedizin bisher eine Domäne der niedergelassenen Ärzte in Österreich gewesen, so scheine sie nun von der Wiener Ärztekammer auch in Krankenhäusern gefördert zu werden (weil sie die Kurie der Angestellten Ärzte organisiert, Anm.), schreibt Ernst. Und: "Die Wiener Ärztekammer behauptet kühn, dass 'die ärztliche Ethik die Basis unserer Arbeit' ist. Nun, ratet einmal, Leute: Unsinn zu lehren ist nicht sehr ethisch!"
Ernst geht darauf ein, dass das Referat für komplementäre und integrative Medizin "aktuelle, qualitativ hochwertige, ärztlich komplementärmedizinische Aus‐ und Fortbildung" vermitteln wolle. - "Wenn das Referat für komplementäre und integrative Medizin wirklich daran interessiert ist, biete ich hiermit an, einen kostenlose Vortragsreihe für sie zu halten, in der sie lernen können, was die hochwertige Evidenz wirklich zeigt."
In der Zwischenzeit, da es keine guten Beweise dafür gebe, dass Homöopathie eine wirksame Therapie für Post-/Long-Covid ist, "muss die Frage, ob die Wiener Ärztekammer von Sinnen ist, mit Ja beantwortet werden", schließt Ernst.
In einem Interview für das Nachrichtenmagazin Der Spiegel sagte Ernst kürzlich, dass Homöopathie "nachweislich keine über den Placeboeffekt hinausgehende Wirkung habe.
Kritik auch von Initiative für wissenschaftliche Medizin
Die "Initiative für Wissenschaftliche Medizin" schreibt auf ihrer Homepage: "Ziemlich unfassbar. Ärztekammer veranstaltet selbst Covid-Pseudomedizinfortbildung, Akademie der Ärzte vergibt DFP-Punkte". Und: "Während die Pseudomedizin bisher eine Domäne der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte war, soll sie jetzt offensichtlich durch die Wiener Ärztekammer auch in Krankenhäusern gefördert werden."
Die Initiative (sie wird laut Angaben auf ihrer Website u.a. von 507 Ärztinnen und Ärzten sowie von 233 Naturwissenschafterinnen und Naturwissenschaftern unterstützt) verweist auf die DFP-Qualitätskriterien für Fortbildungsinhalte, wonach diese "ausschließlich gemäß der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung und an der Verbesserung der medizinischen Versorgung zum Wohle des Patienten orientiert" zu haben sein. Im Licht dieser Qualitätsversprechen klinge die Vergabe der Diplomfortbildungspunkte für diese Veranstaltung "eher nach einem schlechten Witz und es bleibt ein Rätsel, wie das einer kritischen Beurteilung bei der Approbation standhalten konnte und warum dafür DFP-Punkte verschenkt wurden".
Ebenso rätselhaft bleibe es laut der Initiative, "warum gerade die Kurie für angestellte Ärzte so etwas veranstaltet. Patientinne und Patienten verdienen in einem Krankenhaus wirksame medizinische Behandlung und keine Placebos".
Stellvertreterin im Kammer-Referat verteidigt Fortbildung
Elisabeth Lazcano-Kraupp, Psychiaterin und Allgemeinmedizinerin in Wien und erste Stellvertreterin im Referat für "Komplementäre und integrative Medizin" der Wiener Ärztekammer, bezeichnet es gegenüber dem KURIER als "befremdlich, gerade bei dem Therapienotstand, den es in der Behandlung von Post- und Long-Covid gibt, sämtliche nicht konventionellen Behandlungsmethoden sofort zu verteufeln und auszuschließen. Mittlerweile gibt es weltweit viele Fallberichte, die eine positive Wirkung der Homöopathie bei Post- und Long-Covid zeigen, auch qualitativ hochwertige Studien wurden und werden bereits durchgeführt."
Und: "Angesichts einer steigenden Zahl positiver Erfahrungsberichte sollte man offen sein und eine wissenschaftliche Neugierde auch gegenüber medizinischen Methoden an den Tag legen, die nicht von der konventionellen Medizin erfasst werden."
Die Diskussion um die Homöopathie sei seit Jahren eine dogmatische und keine wissenschaftliche, sagt Lazcano-Kraupp. Beim Verfahren der Potenzierung werden Arzneisubstanzen schrittweise verdünnt, sodass bei sogenannten Hochpotenzen, welche aber im Vergleich zu Niedrigpotenzen wie D6/D12 bzw. C6/C12 deutlich seltener angewendet werden, der Ausgangsstoff chemisch nicht mehr nachweisbar ist, so die Medizinerin. "Es geht aber nicht um eine reine Verdünnung, sondern eine Potenzierung durch die gleichzeitige Verschüttelung. Der Herstellungsprozess ist im Europäischen Arzneibuch standardisiert."
"Forschung müsste verstärkt werden"
Kritiker argumentieren, dass es kein Erklärungsmodell für die Wirkweise der Homöopathie gibt. "Tatsächlich gibt es noch kein endgültiges Erklärungsmodell für die Wirkungsweise", sagt Lazcano-Kraupp. "Aber nur weil man nicht weiß, wie etwas wirkt, heißt das nicht, dass es nicht wirksam ist." Hier müsste die Forschung verstärkt werden.
"Allerdings gibt es in den mehr als 1.000 fachwissenschaftlichen Publikationen zur homöopathischen Grundlagenforschung eine beträchtliche Anzahl von qualitativ hochwertigen Studien, die spezifische Wirkungen homöopathischer Arzneimittel, auch von Hochpotenzen, wiederholbar beobachteten."
Immer wieder habe es in der Medizin den Fall gegeben, dass "wir lange nicht wussten, wie bestimmte Medikamente wirken, obwohl eine Wirksamkeit nachgewiesen war und das Medikament bereits lange eingesetzt wurde". Aus Sicht von Lazcano-Kraupp "gibt es hinlänglich große Studien, auch Meta-Analysen (zusammenfassende Überblicksarbeiten, Anm.) die zeigen, dass die Homöopathie wirksam ist“ - etwas, das von Edzard Ernst und anderen Homöopathie-Kritikern aber bestritten wird.
Die Erfahrung und Studien haben gezeigt, dass Homöopathie etwa bei grippalen Infekten und Grippe die Selbstheilungskräfte des Körpers aktivieren könne, sagt Lazcano-Kraupp: "Wir würden nie sagen, es ist die einzige medizinische Methode. Aber sie ist eine hilfreiche und sinnvolle Ergänzung zu anderen Therapien. Gerade bei Long-Covid haben wir noch keine guten therapeutischen Möglichkeiten. Wir sollten deshalb alles ausschöpfen, um das Immunsystem zu fördern."
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