„Wir brauchen das Lächeln der anderen“
600.000 Menschen in Österreich fühlen sich einsam, laut einer aktuellen Studie der „Caritas“. Es sind viele – nicht nur Ältere, sondern auch Kinder und Jugendliche. Das macht betroffen. Was aber heißt es für einen Menschen, sich einsam zu fühlen? Und was bedeutet es – im Gegenzug – allein zu sein? Das zu unterscheiden, scheint mir wichtig. Wer unfreiwillig einsam ist, fühlt Schmerz. Wer das Alleinsein bewusst wählt, kann es als Ressource erleben. Als wohltuende Stille – um Dinge für sich selbst zu tun und sich zu entspannen. Nur ich und die Musik, nur ich und die Natur, nur ich und meine Gedanken. Sonst nichts. Mit niemanden reden zu können, auf niemanden zählen zu können, sich isoliert zu fühlen, obwohl andere anwesend sind: Das hingegen tut weh.
Existenzielle Erfahrung
Einsamkeit gilt als intensiv erlebter negativer Gemütszustand, der selbst dann gefühlt wird, wenn die Betroffenen gar nicht allein sind. Ich denke hier etwa an eine Reisegruppe, bei der viele Menschen zusammenkommen. Doch da ist diese eine Person, mit der niemand Kontakt aufnehmen möchte. Die in der Wahrnehmung der anderen kaum vorkommt. Ein Mensch also, der sich trotz Anwesenheit anderer Mitmenschen so allein fühlt, dass es ihm schwerfällt, aus seinem Kokon zu finden. Eine existenzielle Erfahrung, die auch in Paarbeziehungen erlebt werden kann. Da verbringen zwar zwei in derselben Wohnung täglich viele Stunden gemeinsam – und trotzdem existiert dieses Gefühl einer tiefen Kluft. Es fehlt an echtem Miteinander. Dafür ist das Beziehungswesen Mensch nicht gemacht. „Wir werden am Du zum Ich“, hat es der Philosoph Martin Buber so wunderbar formuliert. In Gemeinschaft zu leben ist vom ersten Atemzug an überlebenswichtig. Ohne Du kein Ich. Keine Sprache. Keine Fähigkeit zur Empathie. Kein Wachsen und Werden. Erst viel später im Leben entwickelt sich die Fähigkeit, allein zurechtzukommen.
Kultur der Begegnung
Ja: Einsamkeit kann wehtun. Sie kann einem Menschen nicht nur seelische, sondern auch große körperliche Schmerzen zufügen – Kopfschmerzen, Gelenks- oder Rückenschmerzen, etwa. Der Zusammenhang mit depressiven Verstimmungen ist evident.
Was tun?
Eine Pille gegen Einsamkeitsgefühle braucht nicht erfunden zu werden. Vielmehr ist die Gesellschaft, ist die Politik gefragt – und jeder einzelne. Im Sinne von Beziehungs- und Begegnungskultur und eines Wissenstransfers. Es ist niemals egal, wie wir einander begegnen und miteinander umgehen, das fängt bereits in der Kindererziehung an. Oder beim (hoffentlich vorbildlichen) Umgang mit dem Smartphone, als Katalysator der Einsamkeit. Als Gemeinschaftswesen brauchen wir den Augenkontakt und das Lächeln der anderen. Denn was heute vor allem zu Einsamkeit führt, ist Lieblosigkeit. Wieder ein bisschen liebevoller miteinander umzugehen, wäre daher ein guter Schritt.
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