Wer bin ich? Wie sich Zwillinge bei der Selbstwahrnehmung prägen

Die Zwillingsforschung kann spannende Antworten liefern – etwa auf die Frage, wie sich Merkmale wie Intelligenz entwickeln.
Menschen ziehen gerne Vergleiche. Sind andere besser in etwas, stuft man sich selbst schlechter ein. Und umgekehrt. Nicht so genetisch idente Geschwisterpaare.

Bei eineiigen Zwillingen sieht man es schon auf den ersten Blick: Sie haben viel gemeinsam.

Für die Wissenschaft ist diese Laune der Natur höchst interessant: Die Zwillingsforschung beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit genetisch identen wie auch genetisch verschiedenen zweieiigen Geschwisterpaaren – und damit, ob bestimmte Eigenschaften durch das Erbgut, die Umwelt oder vielleicht sogar beides bedingt sind.

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Eine neue Studie der deutschen Universität Tübingen zeigt nun, dass eineiige Zwillinge auch ihre schulischen Erfolge gegenseitig anders einschätzen als andere Geschwisterpaare. Die genetisch identen Kinder vergleichen ihre Leistung zwar auch miteinander, bei ihnen tritt aber kein Kontrasteffekt auf.

Unbewusste Verzerrung in der Wahrnehmung

Der Kontrasteffekt findet dann statt, wenn man sein eigenes Können immer gegenteilig zum jeweils anderen bewertet. Heißt: Hat der Bruder oder die Schwester eine bessere Note erzielt, sieht das genetisch ungleiche Geschwisterkind meist sich selbst in einem schlechteren Licht. Wenn es selbst besser abgeschnitten hat, hält es sich üblicherweise für begabter. In Studien wurden diese Kontrasteffekte immer wieder bestätigt.

Eineiige Zwillinge reagieren anders, wie die deutschen Forschungen ergeben haben. Wenn der Zwillingsbruder oder die Zwillingsschwester in einem Fach brillieren, halten sie sich auch selbst für begabter. Ein schlechteres Abschneiden des Co-Zwillings beeinflusst wiederum auch die eigene Selbstwahrnehmung negativ. Bei ihnen kehrt sich der Vergleichseffekt in ein ganz anderes Phänomen, den Spiegeleffekt, um. 

Für diese Erkenntnisse wurden die Daten von über 4.000 ein- und zweieiigen Zwillingen in Deutschland untersucht. Die Geschwister waren zwischen elf und 17 Jahren alt. Teilweise besuchten die Zwillingspaare die gleiche Schulklasse, teilweise nicht.

Bei den eineiigen Zwillingen trat der Spiegeleffekt tendenziell öfter auf, umso älter sie waren. In der Studie offenbarte sich auch, dass der Spiegeleffekt bei zweieiigen Zwillingen nicht auftritt. "Dieser Befund deutet darauf hin, dass eine nur mäßige Ähnlichkeit nicht ausreicht, damit der Spiegeleffekt eintritt, sondern dass der Grad der Ähnlichkeit außergewöhnlich hoch sein muss", erklärt Ulrich Trautwein, Co-Autor der Studie. Er ist überzeugt: "Mit dem Spiegeleffekt konnten wir einen weiteren Beitrag zum besseren Verständnis des schulischen Selbstkonzepts leisten."

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