„Ein Viertel der österreichischen Bevölkerung hat eine Migrationsbiografie, aber die Medizin ist männlich, weiß und vor allem westlich“, erklärt Gächter und führt weiter aus: „Im Gesundheitswesen stellen Menschen aus unterschiedlichen Nationen und Kulturen eine Selbstverständlichkeit dar, doch in ihrer Ausbildung ist das Thema ein Nischenlehrgang.“
Um das zu ändern, hat Gächter mit der Österreichischen Akademie der Wissenschaften kommendes Wochenende die erste interdisziplinäre Tagung zur „Transkulturalität im Gesundheitswesen“ initiiert.
"Erkennen, wie der Patient tickt"
Zu den Sprechern gehört Samira Majlesi, Präsidentin der Österreichisch-Iranischen Ärztegesellschaft (ÖIAG) – immerhin sind hierzulande mehr als 2.000 iranische Ärzte tätig. „Natürlich gibt es sprachliche Barrieren und die zeitlichen Ressourcen sind begrenzt – aber es braucht mehr Verständnis dafür, dass jeder Mensch anders denkt“, erklärt Majlesi: „Eine passende Therapie zu finden, hat nicht nur mit Medizin und Operationen zu tun. Um als Ärzte zu helfen, ist es wichtig zu erkennen, wer dieser Patient ist und wie er tickt. Das gilt nicht nur für Menschen mit Migrationsbiografie – es gibt ja auch kulturelle Unterschiede zwischen Stadt- und Landmenschen.“ Die Hausärztin bricht damit eine Lanze für individuelle Behandlungen statt der beliebten Standardisierungen im Gesundheitswesen.
Schubladen und Rassismus
Gächter geht es vor allem um Sensibilisierung: „Die Medizin kennt verschiedene Sprachen. Was Gesundheit und was Krankheit bedeutet, wird in Kulturen unterschiedlich wahrgenommen.“ So sei etwa das Schmerzempfinden nicht nur persönlich unterschiedlich, sondern liege auch in der kulturellen Sozialisation begründet. „Im Medizinbereich werden Menschen schnell in Schubladen gesteckt, weil wir mit Unterschieden in der Wahrnehmung nicht vertraut sind. Dazu kommt leider auch Rassismus in der Medizin.“
Gächter nennt ein Beispiel aus persönlicher Erfahrung: „Mir ging es nicht gut und ich war bei einem Facharzt. Er meinte – ohne mich zu untersuchen –, ich als orientalische Frau sei hysterisch und hat mir Waldspaziergänge empfohlen. Ein anderer Arzt hat dann eine Schilddrüsenentzündung diagnostiziert und behandelt.“
Für Majlesi geht es vor allem darum sich Zeit zu nehmen, den Mensch zu erfassen – sie nennt ein Beispiel: „Ein afghanischer Patient hatte lange quälende Darmprobleme, ist aber nie zur Koloskopie gegangen. Bei näherer Nachfrage hat sich herausgestellt, er ist während seiner Flucht in Gefangenschaft geraten und wurde dort so sexuell misshandelt, dass eine solche Untersuchung für ihn traumatisch wäre.“
Unterschiedliche Einstellung zu Kranken und deren Versorgung
Ein großer Unterschied ergebe sich auch durch den Umgang mit Krankheit, erklärt Minoo Rahimi, Hausärztin in Wien-Donaustadt: „In weniger entwickelten Ländern wird die Verantwortung für einen kranken Menschen bei der Familie gesehen. In Österreich ist der Staat verantwortlich – da herrscht die Einstellung: Ich habe Beiträge gezahlt und deshalb ist der Staat verantwortlich, sich um mich zu kümmern.“
So erklärt Gächter auch die eingangs erwähnten Konflikte im Krankenhaus: „Wenn bei einem türkischen Patient die ganze Familie im Zimmer steht, will niemand die Arbeit erschweren. Sie sind da, weil sie es als familiäre Verantwortung sehen, da zu sein.“
Der Mangel an interkultureller Kommunikation in Kombination mit Sprachbarrieren führe dazu, dass Symptome und Schmerzen oft nicht gut erfasst werden. „Wenn mehr Bewusstsein geschaffen wird“, hofft Rahimi, „können Kollegen aus unterschiedlichen Kulturen effizienter zusammenarbeiten“.
Gächter: „Ziel ist, Vorurteile auszuräumen und Lösungsansätze zu finden. Gesundheitspersonal sollte in der Ausbildung dafür sensibilisiert werden, dass es unterschiedliche Wahrnehmungen gibt und Werkzeuge für die Tätigkeit mitbekommen.“