"Mir geht es darum, die Kompetenzen von Eltern zu erweitern, damit sie ihr Kind besser verstehen lernen. Im Krankheitsfall aber auch im ganz normalen Alltag."
Online-Welt statt Ordination
Entstanden ist Gatinhos digitaler Nebenjob vor genau drei Jahren. Damals verlegte der heute 40-Jährige seinen Arbeitsplatz teilweise von seiner Praxis ins Internet. Aus Langeweile: "Wir waren mitten in der Pandemie und Hobbys waren tabu." Auf der Suche nach Beschäftigung stieß er auf US-Kollegen, die auf Social Media medizinische Infovideos teilen. "Da dachte ich mir: Das kann ich auch."
Er sollte recht behalten. "Es ist verrückt, dass meine Aussagen inzwischen so große Verbreitung finden", sagt Gatinho, der neben kurzen, knackigen Erklärvideos auf Instagram und TikTok auch regelmäßig ausführliche Folgen für seinen Podcast aufnimmt. Letzterer wurde vergangenes Jahr mit dem Deutschen Podcastpreis in der Kategorie "Publikumspreis Wissen" ausgezeichnet.
Medizin per Mausklick, aber auch analog
Kürzlich sind Gatinhos Ratschläge erstmals auch gesammelt in Buchform erschienen. Kein herkömmlicher Kinderratgeber, wie er betont: "Eltern finden nicht eine Liste aller Kinderkrankheiten. Es geht darum, zu klären, was alles normal ist – und wann man genauer hinschauen sollte."
Die Arbeit als Medizin-Influencer birgt auch Tücken. Kritisch wird es, wenn fachlich komplexe Information auf Halbwissen trifft, weiß Gatinho. "Da können Ängste entstehen. Deswegen ist es mir wichtig, Informationen so niederschwellig und verständlich wie möglich zu gestalten. Damit nicht noch mehr Fragezeichen auftauchen." Im digitalen Raum könne er – anders als in seiner Praxis – Rückfragen von Eltern nicht beantworten.
Kinderthemen locken Trolle
Ob Stillen, Beikoststart oder Sonnenschutz: Was Elternschaft oder Kindeswohl tangiert, polarisiert im Internet. Gatinho sieht es pragmatisch: "Es gibt Dinge, über die lässt sich nicht diskutieren. In der Medizin gibt es Fakten – und die liefern Wissen." Wer das nicht anerkennt, "darf gerne weiterziehen".
Der digitale Kontakt mit Müttern und Vätern lässt Gatinho auch grübeln. Viele hätten verlernt, Informationsquellen im Internet nach ihrer Vertrauenswürdigkeit zu filtern. "Dazu kommt, dass viele überfordert sind, wenn man etwas in mehr als drei Sätzen erklärt. Am liebsten wird alles in Häppchen konsumiert, aber man muss schon auch aktiv mitdenken."
Immer wieder überrascht ist er vom hohen Informationsbedarf: "Da geht es teilweise um banale Themen, die eigentlich vom Kinderarzt oder der Kinderärztin bei normalen Untersuchungen beantwortet werden sollten." Oft kämen Eltern aber wohl aufgrund von Zeit- oder Vertrauensmangel nicht dazu, "die Fragen zu stellen, die ihnen auf der Seele brennen".
Gatinho hält mit Kritik an der medizinischen Mangelversorgung von Kindern in Deutschland nicht hinterm Berg: "Die Situation ist ein Desaster. Kinder haben keine Lobby, egal ob es um Medikamentenversorgung, Krankenhausbetten oder Betreuungsstätten geht." Derzeit versuche die Politik, Lücken zu stopfen. "Es braucht aber umfassende Anstrengungen, um unseren Kindern gerecht zu werden."
Als KidsDoc Veränderungen anstoßen
Der Austausch mit Familien ist jedenfalls eine Bereicherung. "Kürzlich hat mir eine Mutter geschrieben, dass sie mit ihrem fiebernden zwei Monate alten Baby nur deswegen in die Klinik gefahren ist, weil ich immer vehement betone, dass fiebernde Säuglinge sofort ärztlich vorgestellt werden müssen. Das Kind hatte eine akute Nierenbeckenentzündung und konnte vor Schlimmerem bewahrt werden. Das sind Highlights, wo man merkt: Das, was ich da tue, wirkt wirklich."
Gatinhos bester Rat an werdende Eltern: "Babys sind nicht dafür gemacht in unserer rasant funktionierenden Welt zu sein. Man ist als Elternteil also gut beraten, einfach von den üblichen 180 Stundenkilometern runterzugehen. Wenn man mit der gleichen Geschwindigkeit, wie das Baby fährt, kann man diese Zeit auch genießen."
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