Oft eigenmächtig dosiert: Warum der Hype um Vitamin D problematisch ist

Eine Pille wird ins Sonnenlicht gehalten.
Es soll gegen Diabetes, Depressionen und sogar bei der Krebstherapie helfen. Um das gehypte Vitamin D kursiert viel Halbwissen. Was wirklich dahintersteckt.

Im Volksmund wird Vitamin D gerne als Sonnenvitamin tituliert. Kein Wunder, immerhin wird es im menschlichen Körper großteils über die Haut unter Einwirkung von Sonnenlicht gebildet. Karin Amrein vergleicht Vitamin D gerne mit Schlaf: "Es ist ein basaler Baustein unserer Gesundheit. Und es hat enorme Folgen, wenn es im Organismus nicht ausreichend vorhanden ist."

Die steirische Internistin beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Vitamin D. Sie weiß: "Das Forschungsinteresse daran ist ungebrochen." Erst Anfang Dezember stellte ein Team der Med Uni Graz ein neues Verfahren zur Messung des Vitamin-D-Spiegels vor. Mit der Methode wird nicht die verfügbare Menge an Vitamin D im Körper gemessen, sondern ein Abbauprodukt, das bei der Verstoffwechselung gebildet wird. Es zeigt, wie viel Vitamin D vom Körper tatsächlich genutzt wird. 

So lasse sich der Vitamin-D-Haushalt besser beurteilen, heißt es vonseiten der Forschungsgruppe. Was wiederum Nebenwirkungen von Überdosierungen vorbeugen könne. Tatsächlich kommen diese wegen des zunehmenden Hypes ums Sonnenvitamin inzwischen häufiger vor. Die Expertin erklärt, was es mit der Spiegelbestimmung auf sich hat und wie wirksam Vitamin D gegen Diabetes, Osteoporose und Depressionen ist.

Spiegelbestimmung ist eine Kostenfrage

Amrein kennt das Verfahren jedenfalls: "Das ist eine tolle, hochpräzise Methode. Ich erinnere mich an einen Patienten, bei dem wir so eine Abbaustörung aufdecken und ihn vor einer Vitamin-D-Vergiftung bewahren konnten." Doch das Verfahren ist auch teuer. „Es ist kaum vorstellbar, dass es in der breiten Masse eingesetzt wird.“ Das wäre im Sinne einer personalisierten Medizin zwar wünschenswert: "In manchen Bundesländern weigern sich die Krankenkassen aber schon jetzt, 20 Euro für den konventionellen Test zu übernehmen."

Das Risiko einer Überdosierung sei klein, in den vergangenen Jahren aufgrund des anhaltenden Hypes rund um Vitamin D allerdings gestiegen: "Viele therapieren sich inzwischen eigenmächtig, weil sie sich etwas Gutes tun wollen." Dabei sei es sinnlos, ohne Mangel Vitamin D zuzuführen: "Wenn der Tank voll ist, ist er voll. Dann nützt es nichts, noch mehr reinzukippen."

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Zunehmend problematisch seien laut Amrein frei verkäufliche Präparate, die ein Vielfaches der in verschreibungspflichtigen Vitamin-D-Arzneien üblichen Dosis enthalten. Bei einer übermäßig hohen Einnahme entstehen erhöhte Kalziumspiegel. Akut können sie zu Übelkeit, Appetitlosigkeit, Bauchkrämpfen, Erbrechen und in schweren Fällen zu Nierenschädigung, Herzrhythmusstörungen oder Bewusstlosigkeit führen. 162 Vergiftungsfälle wurden 2022 in Deutschland dokumentiert. Amrein: "Dafür muss man das Vitamin aber längerfristig extrem überdosieren."

In unseren Breiten kommen die höchsten natürlichen Vitamin-D-Werte Ende August, die niedrigsten im März zustande. Den Spiegel jährlich überprüfen zu lassen, sei nicht nötig: "Bevor man eine Supplementierung beginnt, sollte der Wert einmal bestimmt werden." Wird bei einem Test im November ein Mangel festgestellt, ist es wahrscheinlich, dass sich dieser jedes Jahr einstellt.

Ergänzung kann Gesundheit erhalten

Krankheiten heilen kann das fettlösliche Vitamin nicht, aber es trägt wesentlich dazu bei, die Gesundheit zu erhalten, erklärt Amrein. So hilft es etwa bei der Vorbeugung von Rachitis (Knochenerkrankung, bei der die Knochensubstanz geschwächt ist, Anm.) bei Säuglingen und Kindern. Auch die Knochengesundheit älterer Menschen, die osteoporose- und sturzgefährdet sind, wird gefördert. Neuere Studien belegen, dass ein ausgeglichener Haushalt die Entstehung von Diabetes bremsen kann. "Aus aktueller Forschung wissen wir auch, dass Vitamin D nicht vor Krebs schützt, aber die Krebssterblichkeit reduziert."

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Studien zeigen immer wieder, dass Menschen deutlich weniger Zeit im Freien verbringen als früher. Ist ein Vitamin-D-Mangel auch ein Lifestyle-Problem? "Absolut", bestätigt Amrein. Hinzu kämen Umweltbelastungen: "Luftverschmutzung blockt das UV-Licht ab." Dass es wegen des Klimawandels dieses Jahr länger sonnig war, sei im Vergleich dazu vernachlässigbar: "Solche Verschiebungen bei der Wetterlage machen nicht viel aus." Theoretisch effektiver sei ein Kurzurlaub in den Wintermonaten. "Mit unserer winterweißen Haut kommt man auf den Malediven aber ohne Sonnenschutz nicht weit. Und der hemmt die Bildung von Vitamin D."

Vitamin D ist kein Allheilmittel

Als relativ gesichert gilt inzwischen, dass ein Mangel die Infektanfälligkeit begünstigt. Als Akuttherapie bei bereits bestehenden Atemwegserkrankungen hilft es aber nicht. "Es ist eben kein Wundermittel."

Immer wieder hört man, dass Vitamin D der Psyche Auftrieb gibt – ein Mangel also Depressionen begünstigen kann. "Menschen mit Depressionen haben ein erhöhtes Mangel-Risiko, weil sie wegen ihrer Beschwerden seltener ans Tageslicht kommen." Dass Vitamin D tatsächlich geeignet ist, eine Depression zu kurieren, "ist nicht gesichert".

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Davon, sich mit teuren Nahrungsergänzungsmitteln einzudecken, rät Amrein ab. "Supplemente sind gesetzlich geregelt wie ein Kebabstand – im besten Fall ist also drinnen, was draufsteht. Demgegenüber stehen ärztlich verschriebene Arzneimittel, wo streng kontrolliert wird, dass sie das enthalten, was sie enthalten sollen."

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