Gesundheitsreport: Gefühl von Zwei-Klassen-Medizin und lange Wartezeiten

Gesundheitsreport: Gefühl von Zwei-Klassen-Medizin und lange Wartezeiten
Laut Austrian Health Report fühlt sich ein großer Teil der Bevölkerung gesund, muss aber lange auf Untersuchungen warten und denkt, dass wer zahlt, eine bessere Versorgung erhält.

Die Österreicherinnen und Österreicher fühlen sich gesund – sieben von zehn Befragten beurteilen ihren eigenen Gesundheitszustand als gut oder sehr gut. Das geht aus dem aktuellen Austrian Health Report hervor, den das Sozialforschungsinstitut IFES im Auftrag des Pharmaherstellers Sandoz jährlich veröffentlicht. 

Im Vergleich zu den vergangenen Jahren ist das eine Verbesserung und fast der Wert aus Zeiten vor der Pandemie. Und das, obwohl in vielen Bereichen, etwa bei Adipositas, Diabetes und psychischen Erkrankungen, Anstiege zu verzeichnen sind. "Nach der Pandemie ist die psychische Gesundheit jetzt wieder besser. Was dazu führt, dass viele empfinden, dass es ihnen auch körperlich besser geht. Man weiß aus Studien zum Beispiel, dass Menschen mit Depressionen auch mehr Schmerzen haben", erklärt Allgemeinmedizinerin Naghme Kamaleyan-Schmied, Vizepräsidentin der Wiener Ärztekammer, bei einer Pressekonferenz am Dienstag. 

Knapp die Hälfte der Befragten nimmt täglich Medikamente ein – je älter, desto größer ist dieser Anteil aufgrund zunehmender körperlicher Beeinträchtigung. Bei der Entscheidung, ob Generika oder Originalpräparate verwendet werden, vertrauen 70 Prozent darauf, dass der behandelnde Arzt weiß, was am besten ist. Generell ist das Wissen um Generika sehr gut, zwei Drittel greifen gerne zum günstigeren Generikum. 89 Prozent der Befragten ist es ein Anliegen, dass hochwertige Medikamente in Österreich hergestellt werden. 

Psychische Gesundheit bei Jüngeren schlechter als bei Älteren

Hinsichtlich der psychischen Gesundheit zeigte sich in der Erhebung, bei der 1.000 Österreicherinnen und Österreicher ab 16 Jahren befragt wurden, dass sich 68 Prozent psychisch gesund fühlen. Allerdings gibt es Unterschiede hinsichtlich des Alters: Während bei Erwachsenen ab 60 Jahren 85 Prozent einen sehr guten oder guten psychischen Zustand angaben, betrug dieser Anteil bei jüngeren Erwachsenen unter 30 nur 54 Prozent.

Zurückgeführt wird das auf die Nachwirkungen der Pandemie sowie die vielen Krisen der vergangenen Jahre, die vor allem bei Jüngeren Spuren hinterlassen haben. Dennoch sei laut Umfrage ein gewisser Optimismus feststellbar – 37 Prozent der Befragten unter 30 Jahre erwarten, dass sich ihre Gesundheit zukünftig verbessern wird, 50 Prozent gehen davon aus, dass sie gleichbleiben wird. 

"Wer es sich leisten kann, wird schneller behandelt"

Mit dem Gesundheitssystem sind 51 Prozent zufrieden oder sehr zufrieden. Hier zeigt sich ein leichter Anstieg – im Vorjahr waren es 45 Prozent. 

Allerdings meinen acht von zehn Befragten, dass Menschen, die es sich leisten können, schneller behandelt werden. 48 Prozent der Befragten sind überzeugt, dass manche Patientinnen und Patienten besser behandelt werden. Jeder Zweite (54 %) ist mit den Wartezeiten unzufrieden. "Das deckt sich mit den Erfahrungen, die ich in der Ordination mache", betont Kamaleyan-Schmied. "Die Patienten wünschen sich kürzere Wartezeiten und mehr Zeit beim Arzt. Das Vertrauen in die Ärzte ist gut, aber es ist in Gefahr, weil nur wenig Zeit für den Einzelnen ist."

Auch die Übernahme von Kosten durch die Krankenkassen sei für viele Patientinnen und Patienten nicht nachvollziehbar. So werden zwar seit 1. Oktober die Kosten für Covid-Tests für Risikopersonen mit Symptomen wieder übernommen. Viele könnten aber nicht verstehen, warum sie, etwa mit körperlichen Beeinträchtigungen, dafür in die Ordination kommen sollen. "Durch Situationen wie diese fühlen sich Leute schlechter behandelt. Wir sehen auch einen Anstieg bei Lungenentzündungen durch Mykoplasmen – auch hier gibt es keinen Test auf Kasse", sagt Kamaleyan-Schmied. 

Die Allgemeinmedizinerin spricht sich für eine Veränderung der Rahmenbedingungen für Ärzte aus. "Wenn es keine faire Honorierung im solidarischen Gesundheitssystem gibt, verlassen es zu viele. Wir haben keinen Ärztemangel per se, aber wir haben einen Ärztemangel im System", so Kamaleyan-Schmied.

Patienten wissen oft nicht, wohin sie sich wenden können

Michaela Wlattnig, Sprecherin der Patienten- und Pflegeanwälte Österreichs, betont, dass vielen Patienten die "Navigationskompetenz" im Gesundheitssystem fehlt. "Sie wissen oft nicht, wohin sie sich wenden sollen. Oft fehlt es an Personal, insbesondere an Pflegepersonal in Spitälern", sagt Wlattnig. Zudem seien die Wartezeiten auf Vorsorgeuntersuchungen und auf Operationen oft lange. Wlattnig ortet ein massives Versorgungsproblem bei Long Covid, sowohl im niedergelassenen als auch teilweise im stationären Bereich. "Die Betroffenen finden keine Ärzte, die sich mit dem Thema auskennen. Die Diagnose und Betreuung ist zeitaufwendig und man muss sich  etwas überlegen, wo man Anlaufstellen schaffen kann."

Sie fordert von einer neuen Bundesregierung die mit der Gesundheitsreform gelegten Grundsteine fortzuführen und darauf aufzubauen statt von null zu beginnen. 

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