Übergewicht: Kommen statt der Abnehmspritzen bald Abnehmpillen?

Woman stands in the bathroom on the scales in the morning
Im Wettlauf um die erste Abnehmtablette mit derselben Wirkweise wie die Spritzen hat jetzt der US-Konzern Eli Lilly erste Daten vorgelegt. Aber auch die Konkurrenz ist aktiv.

Seit einigen Jahren haben die sogenannten "Abnehmspritzen" die Therapie von starkem Übergewicht nachhaltig verändert. Sie ahmen die Wirkung von einem oder zwei körpereigenen Hormonen nach, regulieren den Blutzucker und führen zu einer rascheren Sättigung. Ein Nachteil ist allerdings, dass sie wöchentlich oder täglich (je nach Präparat) von den Patientinnen und Patienten mit einem Pen unter die Haut injiziert werden müssen - eine Prozedur, die vielfach als unangenehm empfunden wird.

Zwischen den großen Herstellern ist deshalb eine Art Wettlauf um die erste Abnehmpille mit derselben Wirkungsweise wie die Injektionen entstanden, bereits Ende des Jahres könnte ein erstes Präparat in den USA zugelassen sein. Jetzt hat der US-Konzern Eli Lilly erste klinische Daten seines Pillenkandidaten mit dem Wirkstoff Orforglipron veröffentlicht - die Reaktionen darauf fielen sehr unterschiedlich aus.

Eli Lilly testete Orforglipron in zwei Phase-III-Studien (sie sind für eine Zulassung relevant). Vorläufige Daten einer dieser Studien mit insgesamt 3.127 Erwachsenen mit einem Body-Mass-Index (BMI) von mindestens 30 oder einem BMI von mindestens 27 und Vorerkrankungen veröffentlichte der Konzern in einer Pressemitteilung: In der höchsten Dosierung (36 Milligramm) verloren die Teilnehmenden 12,4 Prozent des Gewichts im Vergleich zu 0,9 Prozent in der Placebo-Gruppe. Bis Jahresende möchte Eli Lilly jetzt einen Zulassungsantrag in den USA stellen.

Im Vergleich zur noch nicht zugelassenen Abnehmpille mit dem Wirkstoff Semaglutid von Novo Nordisk fiel die Gewichtsabnahme damit etwas geringer aus. Bei der höchsten Semaglutid-Dosierung (50 mg) betrug die Gewichtsabnahme in Studien rund 15 Prozent. Bei Investoren führte das zu einer Enttäuschung, sie hatten sich eine stärkere Gewichtsreduktion erwartet, der Aktienkurs von Eli Lilly gab daraufhin nach. Die New York Times schrieb hingegen von einem "erheblichen Gewichtsverlust" und zitierte den stellvertretenden Geschäftsführer von Eli Lilly, Kenneth Custer. 

Abnehmpillen könnten deutlich günstiger sein als die Spritzen

Custer strich die Vorteile von Pillen gegenüber den Spritzen heraus: Sie seien kostengünstiger und rascher zu produzieren, die Verfügbarkeit könnte dadurch deutlich erhöht werden. Der Adipositas-Experte David Cummings von der University of Washington verweist ebenfalls auf den Kostenfaktor: Sollten die Pillen zu einem niedrigeren Preis als die Spritzen angeboten werden, könnte dies alleine einen bedeutenden Effekt haben und mehr Menschen diese Therapie ermöglichen. Für die Tabletten werden geringere Herstellungskosten als für die Spritzen erwartet, zudem müssen sie im Gegensatz zu den Spritzen nicht gekühlt gelagert werden. 

Eine Therapie mit einem der zu injizierenden Präparate kostet je nach Dosierung mehrere Hundert Euro pro Monat. Von den Krankenkassen werden die Kosten nur in ausgewählten Fällen erstattet.

Bereits im Mai hatte die dänische Pharmafirma Novo Nordisk bekannt gegeben, bei der US-Arzneimittelbehörde einen Antrag auf Zulassung einer oralen Verabreichung ihres Wirkstoffs Semaglutid gestellt zu haben. In der damaligen Presseaussendung wird als Grundlage dafür eine Studie mit 307 Erwachsenen mit Adipositas angeführt, die täglich entweder eine Tablette mit 25 mg Semaglutid oder ein Placebo erhalten. Daten über das Ausmaß eines Gewichtsverlusts bei der 25-mg-Dosierung werden in dieser Aussendung nicht genannt. 2023 veröffentlichte Novo Nordisk die Daten, dass 50 mg Semaglutid in Tablettenform zu einem Gewichtsverlust von 15 Prozent führten. Eine Entscheidung über die Zulassung eines oralen Präparates mit Semaglutid könnte bis zum Ende dieses Jahres erfolgen.

Von einem Durchbruch bei der Adipositasbehandlung könne man aber nicht sprechen, sagt Stephan Martin, Chefarzt für Diabetologie und Direktor des Westdeutschen Diabetes-und Gesundheitszentrums (WDGZ) in einem Statement für das deutsche Science Media Center.  Die grundsätzlichen Probleme der Gewichtsabnahme mit diesen Wrkstoffen würden sich durch eine Tablette nicht ändern. Von Semaglutid sei bekannt, dass ein Absetzen zu einem Jojo-Effekt führe und neben der Fett- auch die Muskelmasse abnehme. Wer nicht bereit sei, sich damit lebenslang zu therapieren, nehme nach dem Absetzen aber nur Fett zu. 

Der Diabetologe Stefan Kabisch von der Charité - Universitätsmedizin Berlin schreibt in seiner Stellungnahme, dass die vorläufigen Ergebnisse denen der neuesten Injektionstherapien ähneln. Auch die Nebenwirkungen wie Magen-Darm-Beschwerden seien ähnlich. "Entscheidend ist aber, dass Orforglipron in der genannten Studie nur in Kombination mit gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung eingesetzt wurde", schreibt Kabisch. "Entfallen diese Zusatzaspekte, wird die Wirkung geringer oder gegebenenfalls sogar gesundheitlich nachteilig ausfallen."

Diabetologe sieht Vor- und Nachteile

Diabetologe Kabisch sieht in den Pillen Vor- und Nachteile: "Eine orale Abnehmmedikation mit starker Wirkung wäre für die Mehrheit der Bevölkerung gesundheitlich relevant. Einerseits könnten Menschen mit sehr starkem Übergewicht endlich erfolgreich abnehmen und Risiken reduzieren. Andererseits könnten Menschen mit leicht erhöhtem BMI ohne Behandlungsbedarf - insbesondere ältere Menschen - dazu verleitet werden, Gewicht zu verlieren, ohne dass es ihnen hinsichtlich des Stoffwechsels oder der Langlebigkeit nützt. "

Weitere Abnehmwirkstoffe in Entwicklung

Doch Eli Lilly und Novo Nordisk sind nicht die einzigen, die Abnehmpillen entwickeln. Laut einer Auflistung der Nachrichtenagentur Reuters arbeiten mindestens fünf weitere große Pharmafirmen an derartigen Wirkstoffen.

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