Therapiezentrum: Lernen, mit dem Rückenschmerz zu leben

Therapiezentrum: Lernen, mit dem Rückenschmerz zu leben
Kreuzweh hat oft körperliche und psychische Ursachen. Hier setzt eine ganzheitliche Therapie an.

Die Wirbelsäule bewusst strecken, Bewegungsabläufe neu lernen. Im Gruppentherapieraum des Gesundheitszentrums Andreasgasse, Wien 7, übt eine Patientengruppe gerade, sich „rückenfreundlich“ zu bewegen.

Schmerz kann zermürben, er nagt an Körper und Seele. Kommen noch weitere Belastungen dazu, kann das System kippen. „Ich habe seit vielen Jahren Rückenprobleme. Dann kam es bei mir zu einer schwierigen Situation wegen einer Kündigung. Ich dachte, der Körper lässt völlig aus“, erzählt Ute Brynda, 54. Seit ihre Beschwerden im Rahmen der Multimodalen Schmerztherapie (MMST) im Gesundheitszentrum Andreasgasse therapiert werden, geht es wieder bergauf. Ihr Schmerz wird hier mehrdimensional betrachtet – von Ärzten, Psychologen, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten und Sportwissenschaftlern.

„Es geht mir besser!“

Therapiezentrum: Lernen, mit dem Rückenschmerz zu leben

 

 

Seit drei Wochen kommt Ute Brynda täglich mehrere Stunden her, um mit anderen Schmerzpatienten ihre chronischen Rückenbeschwerden zu bewältigen. Sie lernt, sich zu entspannen, sie trainiert Kraft- und Ausdauer und erfährt, wie sie mit Schmerzen umgehen kann, wenn sie erneut auftauchen. Frau Brynda ist optimistisch: „Das Gefühl, mein Körper lässt aus, ist endlich weg. Es geht mir viel besser“, sagt sie. Dann geht sie zurück auf die Matte und turnt weiter.

Durch chronische Schmerzen entstehen für das Gesundheits- und Sozialsystem hohe direkte und indirekte Kosten. Für Erkrankungen des Bewegungsapparates werden bis zu zwei Prozent des BIP aufgewendet. In der Gesundheitsbefragung Österreich 2014 sind Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen die häufigsten chronischen Schmerzerkrankungen. Im Jahr 2013 wurde die Multimodale Schmerztherapie unter Prim. Silvia Brandstätter (Hanuschkrankenhaus) als Projekt gestartet. Seit Beginn 2018 wird sie offiziell angeboten.

Wurzeln des Schmerzes

Am Anfang steht das Gespräch mit dem Arzt. Dabei zeigt sich, ob ein Patient für diese Form des Schmerzmanagements geeignet ist. „Es wird geklärt, um welche Art von Schmerz es sich handelt. Als chronisch gilt ein Schmerz, der mehr als drei Monate andauert. Schwere Grunderkrankungen wie Entzündung, Knochenbruch, Rheuma oder Tumorerkrankungen müssen ausgeschlossen werden“, sagt Iwan Kowatschew, Arzt im Gesundheitszentrum. Im Mittelpunkt steht der Dialog mit den Patienten, nicht das Röntgen- oder MRT-Bild. „Auf Befunden sieht man ab einem gewissen Alter immer irgendwelche degenerativen Veränderungen, das ist nicht der Punkt. Wir sehen den Menschen, weniger den Befund“, so Brandstätter.

Was den Schmerz oft chronisch macht, sind also meist nicht Abnützungen oder Bandscheibenvorfälle, sondern psychosoziale Faktoren. Weil darauf immer noch zu wenig geachtet wird, entwickeln sich häufig langjährige Patientenkarrieren.

„Ich habe seit vielen Jahren Schmerzen im Bereich Lendenwirbelsäule und Unterbauch, bin sogar zur Koloskopie, um den Darm zu untersuchen“, erzählt Kornelia Leben, 52. Ihr Leiden hat sich im Berufsalltag – sie sitzt viel – manifestiert. Schließlich schlug sich der Schmerz auf die Psyche. „Ein Teufelskreis“, wie sie nun weiß. Sie erfuhr, dass es sich vorwiegend um ein muskuläres Problem handelt und um falsch eingelernte Bewegungsmuster. Seit vier Wochen ist Frau Leben im Programm, sie fühlt sich nicht nur fitter, sondern kennt die Wurzeln ihrer Schmerzen.

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Depression, Stress

„Psychosoziale Faktoren spielen bei der Entwicklung chronischer Rückenschmerzen eine zentrale Rolle. Am häufigsten sind Depressionen, berufliche und private Unzufriedenheit, negativer Stress, Angststörungen“, sagt Brandstätter. Es ist wichtig, dass sich die Patienten dessen bewusst werden, um dem Teufelskreis der Angst zu entkommen. „Aus Angst vor Schmerz werden bestimmte Dinge vermieden. Die Muskulatur verspannt sich noch mehr, durch Nichtstun baut sie sich ab“, so Kowatschew.

Ziel der MMST ist es, die Patienten zu informieren, sie in ihrer Körperwahrnehmung zu schulen und dass sie sich der psychischen Ursachen des Schmerzes bewusst werden. „Wir wollen, dass die Patienten für sich Verantwortung übernehmen“, sagt Silvia Brandstätter.

Im Kraft- und Ausdauer-Raum werden mehrere Frauen und ein Mann von Sportwissenschaftlern beim Training begleitet. Blazenka Stojanovic, 46, leidet seit zehn Jahren an Schmerzen im Schulter-/Nackenbereich, vor einem Jahr sind Hüftbeschwerden dazugekommen. Als Pflegehelferin im Spital muss sie täglich Patienten heben und mobilisieren. Jetzt mobilisiert sie sich selbst: „Mir haben Bewegungs- und Entspannungstherapie besonders geholfen“, sagt sie und trainiert weiter Nacken- und Schultermuskulatur.

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