Sind nicht gestillte Kinder häufiger krank? 6 Stillmythen im Check

Viele Frauen setzen sich beim Stillen unter Druck.
Stillen gilt als das Natürlichste der Welt. Doch für viele Mütter ist der Anfang alles andere als einfach, sagt Angelika Berger, Leiterin der Abteilung für Neonatologie der MedUni Wien. „Viele Frauen setzen sich selbst unter Druck und erleben auch einen gesellschaftlichen Druck, dass das Stillen gleich nach der Geburt problemlos funktioniert und Glücksgefühle auslöst. Wenn das dann aus verschiedenen Gründen nicht so ist, ist das oft schwer“, weiß Berger. Gleichzeitig erleben zwei von drei Frauen negative Reaktionen, wenn sie in der Öffentlichkeit stillen, wie eine aktuelle Umfrage des Schnullerherstellers MAM im Zuge der Stillwoche (siehe unten) zeigt.
Über Beratung und Aufklärung versucht Medizinerin Berger Frauen Ängste zu nehmen und zu unterstützen. „Stillen ist die beste Ernährung für einen Säugling, aber es ist auch harte Arbeit und viele Frauen erleben sehr frustrierende Phasen. Aber auch wenn es Rückschläge gibt, ist Stillen langfristig sowohl für die Mutter als auch für das Kind von Vorteil“, betont Berger. Häufig ist das Umfeld bei Stillproblemen mit allerhand gutgemeinten Ratschlägen zur Stelle – viele davon stimmen allerdings nicht. Zahlreiche Mythen rund um Muttermilch, Ernährung und Verhalten der Mutter halten sich hartnäckig und führen zu Unsicherheiten. Ein Blick auf 6 gängige Stillmythen zeigt, was belegt ist und was getrost ignoriert werden kann.
„Kleine Brüste geben weniger Milch als große Brüste.“
Falsch. Die Größe der Brust hat keinen Einfluss darauf, wie viel Milch sie produzieren kann. Berger: „Das ist nicht abhängig von der Brustgröße, die durch den Fettanteil bestimmt wird, sondern von den Milchdrüsen. Es können Frauen mit kleineren Brüsten genauso gut stillen wie Frauen mit größeren Brüsten.“ Die Brust besteht aus Drüsengewebe, das für die Milchproduktion zuständig ist, und Fettgewebe, das größtenteils die Größe bestimmt. Auch kleine Brüste enthalten ausreichend Drüsengewebe, um ein Baby vollständig zu ernähren. Die Milchproduktion funktioniert nach dem Prinzip „Angebot und Nachfrage“ – je häufiger ein Baby trinkt, desto mehr Milch wird gebildet, unabhängig von der Brustgröße.
„Stillende Mütter sollten nichts Blähendes wie Bohnen oder Linsen essen.“
Falsch. „Medizinisch ist diese Aussage nicht nachvollziehbar. Die Stoffe aus Hülsenfrüchten, die Koliken bei der Mutter auslösen können, werden nicht resorbiert und gehen nicht in die Muttermilch über. Das gilt zum Beispiel auch für Zwiebel“, sagt Neonatologin Berger. Häufige Blähungen bei Babys rühren daher, dass der Darm noch unreif ist – manche Babys haben zudem mehr Blähungen als andere. Ein Zusammenhang mit dem Essen der Mutter wird meist hergestellt, weil Blähungen insbesondere in den ersten drei Monaten sehr häufig sind. Weder für Kohl, Hülsenfrüchte oder Zwiebeln gibt es aber wissenschaftlichen Beleg dafür, dass sie über die Muttermilch zu Blähungen beim Baby führen können. Die Gase entstehen im Darm der Mutter und gelangen nicht in die Muttermilch – diese wird nämlich im Blut gebildet, nicht im Verdauungstrakt. Allerdings: Wenn das Baby nach bestimmten Lebensmitteln immer wieder besonders stark reagiert (z. B. viel schreit, Hautausschlag, Blut im Stuhl), kann eine Unverträglichkeit oder Allergie vorliegen – z. B. gegen Kuhmilchprotein. Dann sollte Rücksprache mit einem Arzt gehalten werden.
Stillwoche
Mit 7. August endet die Weltstillwoche, die Stillen in der Öffentlichkeit normalisieren möchte. Die Weltstillwoche ist eine Aktion der World Alliance for Breastfeeding Action und findet in 120 Ländern seit 1991 jährlich statt und wird von WHO und UNICEF unterstützt.
Aktion
Noch immer ist Stillen in der Öffentlichkeit ein Tabuthema – eine aktuelle Umfrage zeigt, dass 20 Prozent der Österreicher Stillen im öffentlichen Raum „unhygienisch“ oder unappetitlich finden. Zum Abschluss der Stillwoche ist daher eine Aktion am Heldenplatz, am 7. August um 15 Uhr geplant. Bei einem „Still-Stand“ demonstrieren Eltern und Unterstützer für einen Diskriminierungsschutz stillender Mütter.
„Wenn sich die Farbe der Muttermilch verändert, ist das gefährlich.“
Eine Farbveränderung der Muttermilch ist meist nicht gefährlich, sondern oft durch harmlose Ursachen bedingt. Üblicherweise ist Muttermilch weißlich bis leicht gelblich. Sie kann aber auch Farben wie Grün, Orange oder Rosa annehmen. „Eine Verfärbung ist meist kein Problem. Rosa kann die Muttermilch etwa sein, wenn die Brustwarzen wund sind, was man von außen nicht immer sieht. Einzelne Blutkörperchen können in die Milch gelangen und dadurch wirkt sie rosa. Oft haben Verfärbungen aber auch mit dem Essen zu tun: Isst die Mutter zum Beispiel viel rote Rüben oder Karotten, kann das die Muttermilch ebenfalls rosa oder orange färben“, klärt Berger auf. Treten rosa Verfärbungen häufiger auf sollten sie allerdings beobachtet werden. Rücksprache mit einem Arzt ist nötig, wenn die Muttermilch schwarz ist – dies ist sehr selten und kann etwa durch bestimmte Medikamente ausgelöst werden. Auch manche Vitamin-B- (gelblich) oder Eisen-Präparate (grünlich) können die Farbe der Muttermilch verändern.
„Kinder, die nicht gestillt wurden, sind häufiger krank.“
„Das würde ich so nicht sagen“, betont Expertin Berger. „Große Studien zeigen zwar, dass gestillte Kinder ein geringeres Risiko für Infekte, etwa für Atemwegserkrankungen haben oder für Mittelohrentzündung. Große Kohortenuntersuchungen zeigen auch ein geringeres Risiko für Typ-2-Diabetes, Übergewicht und Diabetes. Das muss man aber mit Vorsicht betrachten – das heißt nicht, dass ein Kind, das Säuglingsnahrung erhält, automatisch eine Erkrankung bekommt. Diese Unterschiede sind sehr gering.“ Muttermilch enthält wichtige Antikörper und Immunfaktoren, die das Immunsystem des Babys stärken und die Entwicklung einer gesunden Darmflora fördern. Nicht gestillte Kinder erhalten diese spezifischen Schutzstoffe nicht über die Muttermilch, allerdings spielen auch andere Faktoren wie Hygiene, Ernährung und medizinische Versorgung eine wichtige Rolle für die Gesundheit des Kindes. Auch nicht gestillte Kinder können problemlos gesund aufwachsen.
„Stillen verbraucht mehr Kalorien als Joggen.“
Es lässt sich pauschal nicht sagen, ob Stillen tatsächlich mehr Kalorien als Joggen verbraucht, da es auf Dauer, Intensität und individuelle Faktoren ankommt. Schätzungen zufolge verbrennen stillende Mütter durch die Milchproduktion ca. 500 kcal pro Tag zusätzlich. Das entspricht in etwa dem Kalorienverbrauch einer Stunde moderaten Gehens. „Es wird jedenfalls eine signifikante Anzahl an Kalorien verbraucht. Gleichzeitig müssen stillende Frauen auch viel trinken und essen. Das ist individuell aber sehr unterschiedlich – manche verlieren mehr Gewicht durch das Stillen als andere“, so Berger.
„Muttermilch verändert sich je nach Tageszeit.“
Richtig. Die Zusammensetzung der Muttermilch variiert im Tagesverlauf. „Es gibt Daten, die zeigen, dass die Muttermilch in der Früh mehr Cortisol enthält, sozusagen zum Munterwerden, und zum Abend hin mehr Melatonin. Generell ist sie auf die Bedürfnisse des Babys abgestimmt.“ Bei Müttern von Frühgeborenen ist etwa mehr Eiweiß in der Milch enthalten, da der Eiweißbedarf eines Frühchens höher ist. Je länger eine Frau stillt, desto fettreicher wird die Milch, die sogenannte Hintermilch gegen Ende einer Stillmahlzeit, enthält mehr Kalorien.
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