Tabuthema Stillen in der Öffentlichkeit: Die Angst vor der Brust

Mutter stillt Baby
Noch immer finden viele Österreicher öffentliches Stillen unangebracht bzw. unhygienisch. Mütter protestieren dagegen mit einem "Still-Stand" am Wiener Heldenplatz.

Eine Mutter mit Baby sitzt in einem Restaurant, plaudert mit ihrem Gegenüber. Nach einiger Zeit ertönt ein Quengeln aus dem Kinderwagen neben dem Tisch, das kontinuierlich an Lautstärke gewinnt. Das Baby hat Hunger jetzt. Noch bevor der Pegel um weitere Dezibel steigen kann, tut die Mutter das, was sie eben tun muss: Sie knöpft ihre Bluse auf und gibt dem Baby die Brust. 

Man könnte meinen, dass die Gäste auf den umliegenden Tischen erleichtert darüber aufatmen, nicht Zeugen eines hungrigen Schreikonzerts geworden zu sein. Stattdessen werfen sie der stillenden Mutter Blicke von der Seite zu. Schütteln den Kopf. Bitten vielleicht sogar den Kellner, der Frau auszurichten, dass sie sich zum Stillen doch bitte auf die Toilette des Restaurants zurückziehen möge. Ungeachtet der Frage, ob diese das möchte oder nicht.

Tabuthema: 20 Prozent finden öffentliches Stillen "unhygienisch"

Das eben beschriebene Szenario ist fiktiv aber auch wieder nicht. Denn solche und ähnliche Situationen erleben stillende Mütter hierzulande nahezu täglich. 19 Prozent der Österreicher finden nämlich, dass die Brust beim Stillen im öffentlichen Raum nichts verloren hat, ebenso viele empfinden es als "unappetitlich" oder "unhygienisch".

Das zeigte eine repräsentative Online-Umfrage unter 1.000 Personen, die von TQS-Research & Consulting im Auftrag des Babyartikel-Herstellers MAM im Juni durchgeführt wurde. Demnach befürworten 57 Prozent das Stillen im öffentlichen Raum – die andere Hälfte der Befragten spricht sich dagegen aus.

Stillen in der Öffentlichkeit bleibt also auch im Jahr 2025 ein Tabuthema in Österreich. "Die jüngste Umfrage bestätigt, was wir schon seit Jahren wissen: Dass Stillen im öffentlichen Raum einfach noch nicht gesellschaftlich akzeptiert ist. Zwei von drei Frauen erleben negative Reaktionen und sogar Anfeindungen, wenn sie in der Öffentlichkeit stellen. Jeder dritten Mutter ist das Stillen in der Öffentlichkeit unangenehm – und jede zehnte Mutter vermeidet das Stillen außerhalb der eigenen vier Wände gänzlich. Geht es nach der Gesellschaft, hat die Brust im öffentlichen Raum nichts zu suchen," fasst es Sabrina Krejan von MAM im Gespräch mit dem KURIER zusammen.

Die Angst vor der Brust

Woher kommen diese Ressentiments – und wer stört sich daran, wenn Mütter ihre hungrigen Babys an öffentlichen Plätzen füttern? Krejan sieht die Sexualisierung der weiblichen Brust als Hauptgrund dafür, warum das öffentliche Stillen in Österreich noch so verpönt ist. "Die Brust gilt als 'privat', Frauen 'entblößen sich', wenn sie ihr Baby in der Öffentlichkeit stillen. Man hört sogar, dass Männer sich teilweise 'sexuell belästigt' davon fühlen." Eine Doppelmoral, wie sie meint. "Wir sehen Bikiniwerbungen im Sommer, Unterwäsche-Plakate an Autobahnen … all das ist völlig in Ordnung. Oder auch, dass Männer bei Hitze mit freiem Oberkörper durch die Stadt joggen. Aber die weibliche Brust wird zum Problem, wenn sie freigemacht wird – um ein hungriges Baby zu füttern."

Interessant sei, dass die negativen Reaktionen nicht zwangsläufig aus bestimmten Personengruppen kommen. Eine ablehnende Haltung gegenüber dem öffentlichen Stillen fände sich sowohl bei Männern als auch bei Frauen, und das in allen Altersgruppen, wie die MAM-Umfragen zeigen. "Wir sehen auch, dass die Zustimmung unter kinderlosen Personen deutlich geringer ausfällt. Nur die Hälfte der Personen ohne Kinder findet Stillen in der Öffentlichkeit okay. Die Zustimmung sinkt auch in der Gruppe der 40- bis 65-Jährigen. Daraus schließen wir: Wer selbst keine Kinder hat, zeigt tatsächlich weniger Verständnis," so Krejan.

"Das Baby kann nicht warten"

Rund ein Drittel (29 Prozent) der befragten Personen in der jüngsten Umfrage ist der Meinung, Stillen an öffentlichen Plätzen sei in Ordnung, solange die Mutter sich dabei bedeckt. Elf Prozent finden, Mütter sollen sich dafür an einen nicht einsehbaren Ort wie etwa die Toilette oder eine separierte Ecke begeben. Darauf entgegnet Krejan: "Stellen Sie sich vor, sie müssten mit Ihrem Essen im Lokal auf die Toilette ausweichen. Wäre das denkbar für Sie? Und nein, nicht jedes Baby mag ein Tuch über dem Kopf haben, während es trinkt. Würden wir ja auch nicht wollen, während wir unsere Suppe essen."

Nicht selten würden Mütter zu hören bekommen, dass sie mit dem Stillen eben warten sollen, bis sie wieder daheim in den eigenen vier Wänden sind. Eine Option, die keine ist. "Wir sind laufend im Austausch mit Hebammen und mit medizinischem Fachpersonal. Daher wissen wir: Bedürfnisse von einem Baby müssen prompt gestillt werden, damit es sich gut entwickeln kann," so Krejan. Sei es Hunger, Durst, oder der Wunsch nach körperlicher Nähe: Auf das Bedürfnis müsse schnell eingegangen werden. "Das Baby kann nicht warten – es ist ihm egal, ob es zuhause, im Café oder in der Straßenbahn ist. Es will jetzt trinken. Daher muss es möglich sein, dass sich die stillende Mutter auch unmittelbar im öffentlichen Raum darum kümmern kann."

Letztendlich gehe es um die gesunde Entwicklung. "Das Baby versteht nicht, warum es nicht sofort eine Bedürfnisstillung bekommt. Und wenn es in seinem Bedürfnis nicht gehört und gesehen wird, kann das auch negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes haben."

"Still-Stand": Demo am Heldenplatz

In den letzten Jahren habe es rund um das Thema aber auch positive Entwicklungen in Österreich gegeben, etwa durch das Stillsiegel. Dieses wird von MAM an stillfreundliche Lokale und Betriebe vergeben: Restaurant und Cafés, aber auch Museen, Hotels, Bibliotheken, Zoos oder Geschäfte. Aktuell tragen rund 200 Betriebe dieses Siegel, die Anzahl steige kontinuierlich. "Vorreiter ist nach wie vor Wien, gefolgt von der Steiermark und Niederösterreich. Wir sehen im Westen noch Aufholbedarf, aber auch dort ist die Tendenz steigend. Viele Betriebe registrieren sich mittlerweile auch aktiv von selbst" freut sich Krejan.

Dennoch ist die Diskriminierung und Anfeindung von öffentlich stillenden Müttern noch immer ein Problem. Hier sei auch die Politik gefragt. "In einigen Ländern, darunter etwa Schottland, Norwegen oder Australien, sind Gesetze in Kraft sind, die das Verbot von Stillen an öffentlichen Orten verhindern," so Krejan.

Anlässlich der Weltstillwoche von 1. bis 7. August fordern MAM und das Hebammenzentrum Wien eine entsprechende gesetzliche Regelung auch in Österreich. Geplant ist dafür eine Aktion am Heldenplatz am 7. August um 15.00 Uhr. Dabei wollen Eltern und Unterstützer mit einem "Still-Stand" für einen Diskriminierungsschutz stillender Mütter demonstrieren. 

Initiatorin Krejan dazu: "Wir wollen die Gesellschaft wachrütteln und Solidarität zeigen gegenüber den zwei von drei Müttern, die beim Stillen in der Öffentlichkeit negative Reaktionen und Beschimpfungen erlebt haben."

Kommentare