Julia Mastny: Nein, Schmerzen kann jeder haben. Ich selbst bin zum ersten Mal im Teenageralter mit Physiotherapie in Kontakt gekommen, weil ich zwei Jahre lang unerklärliche Schmerzzustände hatte. Schmerz kennt also an sich kein Alter.
Ist Schmerz die Hauptbeschwerde, die Menschen dazu bringt, zur Physiotherapie zu gehen?
Definitiv. Schmerz schränkt immer ein – und hemmt im Leben. Wenn man etwa nach einer Knie-Operation wieder normal gehen anstatt humpeln möchte, geht es in der Physiotherapie etwa um das Wiedererlangen der Bewegungsfreiheit durch Schmerzlinderung.
Vor allem beim Rückenschmerz – von dem in Österreich rund zwei Millionen Menschen betroffen sind – spielt das Alter dennoch oft eine Rolle: Je älter eine Person, desto häufiger treten Beschwerden auf.
Das ist richtig, allerdings kann man Rücken- und auch die besonders verbreiteten Nackenschmerzen gut in den Griff bekommen. Zum Beispiel durch Krafttraining im Rahmen einer Physiotherapie. Nur in zehn bis 20 Prozent der Fälle haben Rückenschmerzen strukturbezogene Ursachen, treten beispielsweise im Zuge eines Bandscheibenvorfalls auf. Der überwiegende Großteil der Rückenschmerz-Betroffenen hat keine spezifische Diagnose. Diese Gruppe profitiert am meisten von trainingstherapeutischen Ansätzen.
Oft wird in der Physiotherapie massiert. Davon würden Sie also abraten?
Es gibt verschiedene Methoden, mit denen man Schmerzen reduzieren kann. Mein Ansatz ist der aktive. Denn langfristig – das zeigen auch Studien – führt nichts an Kraft- und Ausdauertraining vorbei. Allerdings kann man die kurzfristigen Effekte manueller Therapien, zum Beispiel von Massagen, nutzen, um im Anschluss auf der neu gewonnenen Bewegungsfreiheit aufzubauen. Langfristig macht man die Patientinnen und Patienten mit nicht nachhaltigen Schmerzinterventionen aber von der Therapie abhängig. Dabei ist es wichtig, dass sie auf lange Sicht alleine weitermachen. Die meisten kommen zu mir, weil sie nicht mehr wissen, was ihnen hilft. Mein Job ist es, ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben und ihnen auch das Wissen zu vermitteln, wie man sie einsetzt.
Was kann man sich unter schmerzreduzierendem Krafttraining vorstellen?
Ich arbeite besonders gerne mit Krafttraining, das simple Bewegungsmuster des Alltags widerspiegelt. Und zwar mit einer entsprechenden Intensität dahinter, damit Trainingserfolge entstehen. Wichtig ist zum Beispiel bei Osteoporose, dass man eine hohe Intensität beim Krafttraining erreicht. Spazierengehen allein ist keine Prophylaxe. Insofern ist es mir ein Anliegen, ältere Menschen für das Fitnessstudio zu begeistern: Dass auch die Oma ganz selbstverständlich ins Gym geht.
Kürzlich kam eine große Überblicksstudie zum Ergebnis, dass insbesondere unterer Rückenschmerz äußerst schwierig zu behandeln ist ...
Vollkommene Schmerzfreiheit zu erlangen ist natürlich herausfordernd. Ganz wesentlich ist, dass die Menschen dranbleiben, damit sie langfristig beschwerdefrei bleiben.
Motivation spielt eine große Rolle?
Absolut, deswegen ist es so wichtig, dass Physiotherapeutinnen und -therapeuten ein maßgeschneidertes Programm zusammenstellen, das sich gut in den Alltag integrieren lässt. Und nicht eine Liste von Standard-Übungen mitgeben. Dabei gilt es auch, auf die Ressourcen des Einzelnen zu achten.
Inwiefern?
Wenn ein Patient zum Beispiel sehr gerne Rad fährt, es aber wegen einer Bewegungseinschränkung im Knie momentan nicht kann, versuche ich mich der Bewegungsform mit speziellen Übungen anzunähern.
Bis zu 20 Prozent aller Menschen leiden an chronischen Schmerzen. In welchen Bereichen ist Physiotherapie noch sinnvoll?
Gerade bei chronischen Schmerzen denke ich stark an Krebspatientinnen und -patienten. Hier geht es oft um den Erhalt der Alltagsfunktionen. Vom Aufstehen aus dem Bett bis hin zu einer Überkopfbewegung, damit man die Kaffeetasse aus dem Küchenregal bekommt. Von außen betrachtet wirkt das vielleicht trivial, aber für Betroffene sind das Errungenschaften, die Freiheit und Selbstständigkeit ermöglichen. Mobilität erhöht nicht zuletzt die Teilhabe am sozialen Leben, was enorm wichtig ist, um Gesundheit zu erlangen und zu behalten. Für mich ist es deshalb jedes Mal eine Riesenfreude, wenn ich eine Patientin zu dem Punkt bringe, wo sie wieder alleine aufstehen kann.
Kommentare